Wie man ihn dreht und wendet, man landet immer auf der Vorderseite. Den neuen Katalog zur Ausstellung „Wachsen und Vergehen“ kann man von beiden Seiten lesen: Es sind zwei Bücher in einem. Das eine widmet sich der Bildhauerin und Grafikerin Sieglinde Bottesch (*1938), das andere stellt Bernard Schultze (1915-2005) vor, einen der Mitbegründer des Informel in Deutschland. Die Publikation greift somit das Konzept der Ausstellung auf, die beide Künstlerpositionen einander gegenüberstellt. Trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Formensprache setzen sich beide mit ähnlichen  Themen auseinander: Der immerwährende Kreislauf des Lebens, das Wechselspiel zwischen Wachsen und Vergehen voller Übergänge und Verwandlungen fasziniert sowohl die Künstlerin als auch den Künstler. 

Das Herzstück des Katalogteils zu Sieglinde Bottesch bildet ein Interview zwischen ihr und der Kuratorin Dr. Agnes Tieze. Die Künstlerin lässt hier in ihren kreativen Prozess blicken. Vielfach sind es unscheinbare alltäglich Erlebnisse, die zu einer mystischen Erfahrung werden und den gestalterischen Prozess anregen. Wenn Bottesch auf ihre poetische Art erzählt, wie die Inspiration kommt und wie sie ihre Werke entwickelt, kann man das Geheimnis der einnehmenden Wirkung ihrer Kunst nachvollziehen: „Wir reagieren wie Resonanzkörper in ganz persönlicher Weise auf das, was uns begegnet. […] Das Lebendige, mit seinen Daseinsformen, löst Assoziationen aus, die nicht endgültig sind, sondern immer wieder neue Interpretationen zulassen und auch mich selbst einschließen können.“ 

Ausgehend von theoretischen Texten Bernard Schultzes und der Analyse seiner Werke beleuchtet Kurator Dr. Sebastian Schmidt unterschiedliche Aspekte im Schaffen des Künstlers. Das „Werden und Vergehen“ benennt er als ein Prinzip, das nicht nur Schultzes von Zufall und Assoziationen gelenkten Entstehungsprozess bestimmt, sondern auch bei der Deutung seiner Werke zu tragen kommt. Schultze kreiert mit seiner Kunst eine alternative Welt. Seine „Arbeiten rekurrieren demnach nicht etwa auf bestimmte Naturvorbilder, stellen also keine konkreten Dinge oder bestimmte Begebenheiten dar, sondern bringen, so Schultze, Phänomene ,parallel zur Natur‘ zur Anschauung, welche ihre Existenz und Gestalt dem beschriebenen Entstehungsprozess des Kunstwerks verdanken,“ schreibt Schmidt. In diesem Sinne sind auch Schultzes „Migofs“ zu verstehen – fantastische Wesen, die er selbst als eine Art Zwischenzustand zwischen „Tier, Pflanze und Mensch“ bezeichnet. Ähnlich arbeitet Schultze auch mit Texten. Vielfach nutzt er sie – insbesondere in Form von Werktiteln – um die Deutung „in eine bestimmte Richtung zu lenken,“ beschreibt der Autor.

In der Einführung öffnet Dr. Agnes Tieze einen breiteren Blick auf beide Künstlerpositionen, benennt Gemeinsamkeiten und Unterschiede und fasst abschließend deren unterschiedlichen Zugang zur Natur zusammen: „Indem Sieglinde Bottesch jedes noch so kleine Leben in der Natur ungeachtet von dessen Entwicklungsstadium aus seinem ursprünglichen Kontext herausgreift – „heranzoomt“ – und ihm eine Bedeutungsebene verleiht, lenkt sie den Blick auf Kostbarkeiten, die wir oftmals nicht beachten. Mit Bernard Schultze gewinnt man eine teils makabre Gewissheit der Unablässigkeit von Zerstörung und Wachstum. […] Das Gleichmaß von „Wachsen und Vergehen“ bei Sieglinde Bottesch kehrt sich bei Bernard Schultze um: Auf Niedergang und Zersetzung folgt erneutes Wachstum analog zur Malerei des Informel, das in Deutschland als gestisch-abstrakte Stilrichtung in den Trümmern der Nachkriegszeit einen Neuanfang vollzog.“

Neben den Textbeiträgen enthält der Katalog ebenfalls eine umfassende Bilddokumentation der Exponate sowie deren Präsentation in der Ausstellung. Die Publikation kann man ab sofort für 17 Euro sowohl an der Museumskasse als auch im Online-Shop erwerben. 

Eine Gelegenheit, Sieglinde Bottesch persönlich zu erleben und sich sein Katalogexemplar signieren zu lassen, gibt es am Sonntag, 4. Dezember. Um 11 Uhr führt die Künstlerin durch die Ausstellung. Führungstermine mit den Kuratoren und Katalog-Autoren, Dr. Agnes Tieze und Dr. Sebastian Schmidt, bietet das KOG an folgenden Tagen an: Eine Kuratorenführung mit Dr. Agnes Tieze findet am Donnerstag, 24. November, sowie am Donnerstag, 15. Dezember, jeweils ab 18.30 Uhr statt. Zu den kostenlosen Mittagsführungen, jeweils mittwochs von 13.00 bis 13.30 Uhr, lädt das KOG am 23. November sowie am 7. Dezember, 14. Dezember und 4. Januar ein. Wer sich inspirieren lassen möchte, um selbst kreativ zu werden, ist herzlich zur zweitägigen Werkstatt für Groß und Klein eingeladen. Am Samstag, 19. November, und Sonntag, 20. November, gestalten Kinder ab 6 Jahren sowie Erwachsene Migofs und andere Fantasiegestalten aus Pappmaché. Die Weihnachtswerkstatt „Papierzauber: Weihnachtliches leuchtend und schwebend“ ist für Kinder ab 6 Jahren geeignet und findet am Samstag, 10. Dezember, statt.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Mittwoch: 10:00 - 17:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 20:00 Uhr
Freitag - Sonntag (Feiertage): 10:00 - 17:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: kunstforum.net

Ausstellung „Wachsen und Vergehen“ mit Werken von Sieglinde Bottesch, im Vordergrund: Sämereien, 2006 © Sieglinde Bottesch, Foto: Uwe Moosburger, www.altrostudio.de
08.10.2022 - 29.01.2023

Wachsen und Vergehen. Sieglinde Bottesch – Bernard Schultze

Kunstforum Ostdeutsche Galerie

Dr.-Johann-Maier-Str. 5
93049 Regensburg