Daniel Richter (1962) zählt zu den bedeutendsten Malern seiner Generation. Über die letzten drei Jahrzehnte hat der heute in Berlin und Wien lebende Künstler mit einer unermüdlichen schöpferischen Kraft und Experimentierfreude ein großes Œuvre geschaffen.

Der vitale und vielschichtige Bilderstrom Daniel Richters speist sich sowohl aus bestehenden Bilderwelten als auch aus inneren Imaginationen–er ist subjektiv und kollektiv zugleich. Indem Richter Versatzstücke der Populärkultur, in Printmedien überlieferte politische Ereignisse und Motive aus der Kunstgeschichte zitiert und emotional auflädt, führt er den expressionistischen Unmittelbarkeitsgestus auf konzeptuelle Weise weiter und befragt die Möglichkeiten der Malerei jenseits stilistischer Festschreibungen immer wieder neu.

Die künstlerischen Anfänge von Daniel Richter liegen im Bereich der angewandten Kunst. So entwarf Richter in den 1980er Jahren Plattencover und Plakate von Bands. Von 1991 bis 1995 studierte er dannan der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Malerei. In Auseinandersetzung mit der figurativen neo-expressionistischen Malerei eines Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen entwickelt Richter zunächst seine eigene bunte, vom abstrakt-ornamentalen Graffiti inspirierte Malweise, die zu Beginn noch die Punk-Attitüde der Hamburger Subkultur atmete.

Um das Jahr 2000 entdeckte Daniel Richter dann die Figuration für sich. Sie ermöglichte es ihm, seine Erfahrungen mit der Welt und seine Vorstellung davon erzählerisch in die nonverbale Sprache derMalerei zu übersetzen. Angeregt von Zeitungsfotos und Geschichtsbüchern entstehen großformatige, bühnenartige Historienbilder. Allegorien gleich leuchten sie gesellschaftliche Randfiguren, soziale Dramen und krisenhafte geschichtliche Ereignisse aus. Neben großen Gesellschaftspanoramen stehen kleine intimere Bilder, symbolistische Selbstporträts und Stillleben, die die conditio humana des Gegenwartsmenschen spiegeln.

Seit dem Jahr 2015 wird das Motivrepertoire und auch die Malweise Richters wieder zunehmend abstrakter. Inhaltliche Motive wie Pornobilder aus den Medien oder Postkarten von Kriegsversehrten aus dem Ersten Weltkrieg muten nur noch an wie ein Impuls und erster Anstoß für die ästhetischeAuseinandersetzung mit den formalen Mitteln Farbe, Linie und Fläche, die jetzt im Vordergrund zustehen scheinen. Diese Ergebnisse der neuesten Werkphase sind jedoch alles andere als l’art pour l’art. Obwohl abstrakter und weniger narrativ, spiegeln sie dennoch den Zeitgeist einer krisenhaften undspannungsvollen Gegenwart.

Die retrospektiv angelegte Schau der Kunsthalle Tübingen stellt das Schaffen Daniel Richters–inseinen Haupt-und Nebenwegen–erstmals seit vielen Jahren wieder in Deutschland im Überblick aus. Im Mittelpunkt der Schau steht der figurative Impuls bei Daniel Richter und die Frage, wie der Künstleranhand des figürlichen Repertoires in seinem Werk das Verhältnis von Mensch, Körper und Gesellschaft sowie von innerer und äußerer Realität über die letzten drei Jahrzehnte inhaltlich undstilistisch immer wieder neu thematisiert.