Ab Februar 2023 präsentiert der Badische Kunstverein die erste umfassende Einzelausstellung der Künstlerin und Poetin Ilse Garnier in Deutschland (1927, Kaiserslautern – 2020, Amiens). Sie gilt als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Akustischen, Visuellen und Konkreten Literatur und Kunst. Die Ausstellung zeigt Arbeiten aus dem über 50jährigen Schaffen dieser wegweisenden Künstlerin, die sich auch zeitlebens für die Sichtbarmachung von Autorinnen einsetzte.

Seit den 1950er Jahren arbeitete Ilse Garnier auch gemeinsam mit ihrem Mann Pierre Garnier, beide waren durch die Erlebnisse des 2. Weltkriegs geprägt und suchten nach einer experimentellen, visuellen Sprache, die einer offenen und supranationalen Gesellschaft gerecht würde. Ihr Werk steht dabei ganz im Zeichen der Selbsterkenntnis und des Wirkens für eine friedliche, menschliche und solidarische Gesellschaft. Die politische Dimension im Werk der Garniers zeigt darin deutliche Parallelen mit der Entwicklung der Konkreten Poesie in Deutschland, Österreich oder der ehemaligen Tschechoslowakei sowie der Visuellen Poesie in Italien, Spanien, England, den USA, Brasilien und Japan.

Anfang der 1960er Jahre entwarfen Ilse und Pierre Garnier das Konzept der Spatialen Poesie (poésie spatiale) als Ausdrucksform, in der Sprache zum Material wird und der Raum in der Fläche den Text strukturiert: Das Wort wird aus dem Satz befreit und die Sprache aus einem linearen Ablauf herausgelöst. So entsteht eine neue poetische Landschaft, die zur Reflektion und Meditation einlädt. Die Spatiale Poesie war eine radikale Erweiterung der Konkreten Poesie, da sie die Materialität und räumliche Gestalt von Sprach- und Textzeichen in den Vordergrund stellte und damit auch visuell gänzlich neue Wege beschritt. Ilse Garnier entwickelte in diesem Zusammenhang neue Wortfiguren wie die ‚Kurve‘ oder die ‚Parabel‘, die sich über das Blatt als Passage in einen unbegrenzten Raum fortführen ließen. So wird etwa der Buchstabe „i“ aus ‚lumière‘ und ,nuit‘ als hellster Vokal zum Symbol für die Bewegung des Lichts im Raum.

In den 1960ern wurden die tradierten Genres der Kunst revolutioniert und der Weltraum erforscht; es entstanden die Elektro-Akustische und Konkrete Musik. Ilse und Pierre Garniers Werk ist eng mit diesen Entwicklungen verknüpft, auch ihre Poesie wurde technischer: Sie erfanden Schreibmaschinengedichte als mechanische Gedichte (1965). Sprache wurde auf Mikroebene gedacht und das Spiel mit Überlagerungen, lesbaren und unlesbaren Worten, Licht und Schatten oder minimalen Verschiebungen der Abstände führte zu einer vollkommen neuen Dynamisierung von Text und Form. Zunächst schrieb Ilse Garnier ausschließlich in Französisch, das sie als vokalische Sprache und durch die Akzente visuell inspirierte. In späteren Arbeiten wählte sie die deutsche Sprache. Die Polyphonie, die aus diesem Spiel mit Vokalen und Sprachwechseln entsteht, ist für die Ausstellung von besonderem Interesse und zeigt sich auch im Titel a e i o u.

Im Kunstverein werden zentrale Arbeiten aus den 1960er, 70er und 80er Jahren präsentiert. Neben der großformatigen Arbeit Fensterbilder (1983), die als eine Art Stundenbuch den Blick aus dem Fenster auf 24 Stunden eines Tages mit all seinen Ereignissen eröffnen, sind weitere wegweisende Arbeiten wie Quartett, ein Zahlentext (1985), Winterlandschaft mit Vögeln (1996) oder Das einfache Leben des Jens Sörensen Wand auf der Hallig und in Husum (1985) zu sehen. Auch die im letzten Jahr auf der Venedig Biennale gezeigte Arbeit Blason du corps féminin (1979) ist ein für die Ausstellung wegweisendes Werk, in dem sich Ilse Garnier mit der poetischen Kraft des weiblichen Körpers auseinandersetzt und diese dem patriarchalischen System gegenüberstellt. Auf jeder Seite werden die speziellen Eigenschaften des weiblichen Körpers anhand von Buchstaben, Linien und geometrischen Formen dargestellt. Die Entwürfe für ein Hüpfspiel und das Puzzle-Alphabet (1988) verdeutlichen Garniers direkte Aufforderung, mit den Buchstaben nach dem Zufallsprinzip spielerisch zu experimentieren und sich eine eigene Poesie räumlich und physisch zu erschließen.

Ilse Garnier lebte und arbeitete als Schriftstellerin, Künstlerin und Übersetzerin bis zuletzt in Amiens und Paris, Frankreich. Sie studierte Germanistik und Romanistik in Mainz und Paris. Zusammen mit ihrem Mann Pierre Garnier veröffentlichte sie diverse Künstlerbücher, Mappen, Übersetzungen und Essays. Zu sehen war sie u.a. mit der Ausstellung P. et I. Garnier. Le Spatialisme (Stuttgart, 1991) und 2022 auf der Biennale in Venedig.

Die Ausstellung ist der erste Teil einer Reihe von Projekten mit Künstlerinnen der Konkreten Poesie.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Freitag: 11:00 - 19:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 17:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: badischer-kunstverein.de

Auszug aus Ilse Garniers Les Marelles du ciel . Kollektion Violette Garnier, 1987
10.02. - 16.04.2023

Ilse Garnier: a e i o u

Badischer Kunstverein

Waldstraße 3
76133 Karlsruhe