Für ihre künstlerische Arbeit mit dem Medium Fotografie (teilweise auch mit Video) recherchiert Kerstin Flake unter anderem anachronistische, gescheiterte oder transformierte Orte. Sie erkundet deren Geschichte, indem sie Spuren, Objekte und Überreste so inszeniert, dass sie in neue inhaltliche und räumliche Beziehungen zueinander treten. Dafür baut die Künstlerin im Realraum detailreiche Installationen oder bühnenartige Situationen, die sie mit der Kamera in fotografische Bilder transformiert. In diesen Aufnahmen gewinnen die Objekte, die ihre ursprüngliche Funktion eingebüßt haben, eine Art Eigenleben. Sie wirken wie belebte Akteure und erzeugen ihre eigene Wirklichkeit, indem sie scheinbar auch physikalische Gesetze außer Kraft setzen. Auf diese Weise werden die Übergänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart sichtbar gemacht sowie Perspektiven und Bedeutungen auf heitere Weise verschoben.
Kerstin Flakes Fotoserie Shaking Surfaces (2018–2021) versammelt mediale Relikte aus der analogen Zeit, die scheinbar selbsttätig in Bewegung geraten – bis hin zur Auflösung ihrer festen Umrisse. Neben dem bewussten Spiel mit Erwartungshaltungen geht es Flake um die Übergänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart und die sich damit fortlaufend verändernden Bedeutungszuschreibungen.


Für ihre Serie Bilder machen Leute (2020) hat Frenzy Höhne im Internet generierte Beschreibungen für nicht ladbare Bilddateien in das Medium der Malerei übertragen. Ohne die Übertragung bleiben von den Unmengen an Motiven, die durch die sozialen Medien geistern, nur absurd wirkende, teils aberwitzige automatisch erstellte Bildbeschreibungen zurück, die die meist mühevollen Selbstinszenierungen ihrer Protagonist*innen in beinahe tragisch schlichte Worte fassen. Die Künstlerin präsentiert leere Leinwandflächen mit der Textzeile „Bild könnte enthalten …“ am oberen Bildrand. Diese folgen in blauer Schattenfugenrahmung einer konzeptionell angelegten Hängung, die der Benutzeroberfläche von Facebook nachempfunden ist.
Dialogisch hierzu verhält sich Höhnes Denkmal (2012), ein C-Print mit dem Motiv eines gelben Haftnotizzettels, 180 × 130 cm groß, in Eiche gerahmt, lose stehend auf einem massiven Stufensockel. Die malerische Leichtigkeit der farbigen Fläche des Abgebildeten kontrastiert die körperliche Vehemenz der skulpturalen Aufsockelung. Höhne hat eine Sinnebene konstruiert, die den Wunsch, das momenthaft Kurzlebige möge Festigkeit und Beständigkeit haben, mit der Endlichkeit allen Seins kollidieren lässt.


Lea Kunz’ Wiedergabe von physisgebundenen Dehnungen, Anlehnungen, Verwulstungen und skurrilen Fingerzeigen sind phänomenal. Sie überrascht uns mit variantenreichen, körperknotigen Posen eines jungen Bildpersonals, das sich wie zufällig aus nackten Körpern von Frauen, Männern und einem felllosen Haustier in Innenräumen und in der heimatlichen Natur modelliert. In ihrer fortlaufenden Serie Naktakt widerspricht die Künstlerin den herkömmlichen Übereinkünften zur Darstellung des nackten Körpers. Ihre Fotografien sind unerwartete und unübliche Stellungnahmen zu emotionalen Seinsweisen des Menschen, poetisch erschlossen in zuweilen surreal anmutenden Leib-Konstellationen. Die Formentfaltungen, die Kunz wählt, folgen den Dimensionen des Möglichen, gerade weil sie sich seltsam unangestrengt dem Normbewusstsein entgegenstellen.


Remofiloe Nomandla Mayisela untersucht in ihrer Serie Lip Service (2022) in Anlehnung an das Sprichwort „Der Weg zum Herzen eines Mannes führt durch seinen Magen“ patriarchale Dominanz, stereotype Vorstellung von Weiblichkeit und den Haushalt als Bühne eben jener Machtgefälle.
In Enigma (2021) bearbeitet die Künstlerin vorgefundenes fotografisches Material – hauptsächlich aus Fotoalben unbekannter Herkunft – und schafft neue, surrealistisch anmutende Bildcollagen. Das Vintage-Foto nimmt dabei in der Behandlung der Zeitlichkeit eine besondere Rolle ein, da es nicht nur inhaltlich auf frühere Gegebenheiten verweist, sondern auch Menschen zeigt, die seitdem älter geworden oder gar bereits verstorben sind. In gewisser Weise bildet das Porträt dabei eine neue Vanitas-Motivik, in der das fotografische Bild selbst zum Symbol des Vergänglichen wird. Indem Mayisela vorgefundene Fotografien manuell bearbeitet, tritt sie nicht nur aus der Rolle der Produzierenden heraus, um auf die Seite der Betrachtung zu treten und sich als „Schöpferin“ zu entmystifizieren, sondern eröffnet damit auch ein Feld der Gegensätze. Die Herausforderung in der Praxis der Künstlerin liegt also insbesondere darin, künstlerische Aspekte in einer amateurhaften Fotografie zu finden, die nicht unter diesen Vorzeichen geschaffen wurde, eine unbewusste Schönheit oder Ergriffenheit erfahrbar zu machen und sie in ein neues Werk zu transportieren.


Mathilda Olmis Projekt Rosa Canina (2021) kombiniert intime Porträts, Aktfotografien und Stillleben und lädt uns ein, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir weibliche Körper zeigen und betrachten.
Indem sie die Körperbilder mit Details aus der Natur mischt, verweist sie auf die ökofeministischen Theorien, die den Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der Natur und der Unterdrückung der Frau herstellen. Seit mehreren Jahren engagiert sich die Künstlerin in verschiedenen Formen des feministischen Kampfes und möchte diese Stimme heute durch ihr künstlerisches Werk weitertragen. Der stachelige und hartnäckige Hexenbesen ist ein kämpferisches Echo auf die künstlerische Absicht der Fotografin.


Seit 2006 arbeitet Björn Siebert an seiner Langzeitserie von streng inszenierten großformatigen Fotos mit den Subtiteln Remake. In dieser Serie rekonstruiert er minutiös Amateurbilder aus den Untiefen des Internets und verweist mit dem speziellen Begriff aus der Filmsprache auf die zentrale Bedeutung der Wiederholung für seine Arbeit. Der Akt der Reinszenierung, den er bis ins Detail hinein vollzieht, wiederholt die erste, originale Inszenierung und befragt ihre Mechanismen. Indem Siebert versucht, das „Wesentliche“ aus kleinen digitalen Schnappschüssen in analoge große Fotografien zu übersetzen, spürt er einerseits dem Geheimnis und der Zeichenhaftigkeit der Amateurbilder nach, andererseits verleiht er den Verdopplungen durch den Verlust des Originals und des Entstehungskontextes ein Eigenleben.


Jan Sobottka kommt eigentlich aus der Malerei, arbeitet aber seit 2004 ausschließlich als Fotograf in der Berliner Kunstszene. Seine Website www.catonbed.de umfasst inzwischen mehr als 50.000 Fotos.
Bei seinen spontanen Rundgängen fotografiert er Ausstellungseröffnungen, Veranstaltungen und Künstler*innen in ihren Ateliers. Parallel arbeitet er in seinen Räumen auch als Porträtfotograf. Seine Serie mit Modellen erschien 2015 als Buch mit dem Titel Kitchenwork, das sich diesem Thema auf private Weise widmet. Dadurch, dass Sobottka viele Menschen im Verlauf seines sich nun bereits über 18 Jahre erstreckenden Projekts kennengelernt hat und ihnen immer wieder begegnet, entwickelte sich zwischen ihm und den von ihm Porträtierten oftmals ein Vertrauensverhältnis. Davon zeugen seine intensiven Bilder von Persönlichkeiten wie Georg Baselitz, Roger Ballen, Hanna Schygulla, Elvira Bach und Rosa von Praunheim sowie von Galerist*innen, Künstler*innen und Kurator*innen. Sie entstehen spontan, immer in dem Licht, das der jeweilige Begegnungsort gerade bietet. Die Gesichter erscheinen weder exaltiert noch standardisiert, wie losgelöst von der Bewusstseinsindustrie, abgelichtet als individuelle Subjekte in einem seltenen Moment der Unmittelbarkeit.


Anett Stuth fotografiert, collagiert und decollagiert in ihren neuen Arbeiten mit dem übergeordneten Titel Time Loops (2021–2023) Naturstücke, Pflanzen- und Tierobjekte, Überreste aus jüngster und prähistorischer Vergangenheit.
Die Künstlerin verdichtet in ihren Werkgruppen die Reflexion über die Erhabenheit und gleichzeitige Zerstörung von Natur wie auch über die Inszenierung von Naturobjekten.
In ihren fotografischen Collagen werden historische und aktuelle Bildmaterialien/ Versatzstücke der Natur zusammengefügt und in Beziehung zu unserer jetzigen Zivilisation gesetzt. Dagegen werden in Stuths Decollagen aus den großformatigen Fotografien von Tier- und Pflanzenobjekten alle überflüssigen Informationen entfernt. Die Objekte wirken dadurch losgelöst von Herkunft und Zeit, wie stumme, erstarrte Zeugen vergänglicher Diversität. Durch das Wechselspiel von Collagen und Decollagen eröffnen sich neue Denkräume in Form von Zeitschleifen.
Anett Stuth wurde 2022 vom Künstlerhaus Bethanien für den EMOP Berlin – European Month of Photography nominiert.