Die Ausstellung von Flint Jamison im Künstlerhaus Stuttgart untersucht ein steuerbegünstigtes Kunstleihprogramm namens "Masterworks on Loan", das 2015 im Jordan Schnitzer Museum of Art (JSMA), einem Museum mit einer Sammlung auf dem Campus der staatlichen Universität von Oregon in Eugene, USA, eingerichtet wurde. Jamisons Ausstellung mit neu in Auftrag gegebenen Arbeiten stellt eine erschütternde Bilanz dieses Museumsleihprogramms während des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie dar. Letztendlich überdenkt Jamison, inwieweit das JSMA die Bedingungen festlegt, die seine Pflicht als Museum definieren, einem Publikum zu dienen, das die Institution über Steuerabzüge unterstützt und zu dessen Gunsten das Museum als gemeinnützige Organisation besteht. Diese Neubetrachtung kann von dem klein und lokal begrenzt wirkenden Fall des JSMA auf die Rolle übertragen werden, die der breitere Kunstbetrieb mit seinen Organisationen in der Konzipierung, Legitimation und Umsetzung von Steuergesetzen spielt, die die Veräußerung öffentlicher Interessen fördern. 
 
Jamisons Ausstellung im Künstlerhaus Stuttgart baut auf seiner früheren Arbeit auf, in der er die gelebte Politik des Steuerrechts aufdeckte, und stützt sich auf ein breites Spektrum an Literatur, auf die sich Journalist*innen, die das Steuerrecht untersuchen, und kritische Steuertheoretiker*innen stützen. Die kritische Steuertheorie (engl. Critical Tax Theory) ist ein bahnbrechender Bereich der Rechtswissenschaft, der die politischen und diskriminierenden Aspekte des Steuerrechts untersucht. Es handelt sich um eine intellektuelle Disziplin, die zu erkennen versucht, welche tiefgreifenden Auswirkungen das Steuerrecht auf die Verwaltung des Eigentums, auf enorme Einkommensunterschiede, unverhältnismäßige Steuerbefreiungen, vererbte Vorteile, negative Anreize und Verschuldung hat. Die kritische Steuertheorie stellt die historische Behauptung in Frage, das Steuerrecht sei neutral oder nicht tendenziös, und überschneidet sich mit anderen Bereichen, die die anhaltenden Auswirkungen von Steuergesetzen untersuchen, die im Dienste des Kolonialismus, der Klassenunterdrückung und der rassisch-ökonomischen Unterordnung ratifiziert wurden. Bezeichnenderweise hat die kritische Steuertheorie auch lange darauf bestanden, dass eine vollständige Untersuchung der politischen Dynamik des Steuerrechts ein Verständnis der spezifischen kulturellen Kontexte erfordert, in denen die Steuergesetze wirken. 
 
Steuergesetze bestimmen zunehmend die operative Struktur von Kunstinstitutionen. Die Ausweitung des Kunstmäzenatentums auf der ganzen Welt ist untrennbar mit den Steuervergünstigungen verbunden, für die sich wohlhabende Einzelpersonen, Stiftungen und Unternehmen auf städtischer, regionaler und bundesstaatlicher Ebene aggressiv einsetzen. Infolgedessen hat sich der Kunstsektor der Erfindung und Aufrechterhaltung rechtlich-wirtschaftlicher Strukturen verschrieben, die die Steuerpflicht für vermögende Privatpersonen verringern. Diese durch die Kunst mobilisierte rechtlich-wirtschaftliche Ausrichtung zeigt sich heute in Kunstwerken als steuerfreiem Vermögen, in der Kunstphilanthropie als System der Steuervermeidung und in Kunstschaffenden als freiberuflichen Arbeitskräften, die die Steuerlast von den Arbeitgeber*innen auf die Arbeitnehmer*innen verlagern. Natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, dass Gesetze zur Steuervermeidung nicht nur von den Wohlhabenden befürwortet werden, sondern dass es sich dabei um Gesetze handelt, die von der breiteren Kunstszene routinemäßig als vorteilhaft für Künstler*innen, Kunstinstitutionen, das Kunstpublikum und die Öffentlichkeit im Allgemeinen propagiert werden.

Den vollständigen Ausstellungstext finden Sie hier im Begleitheft.