Nahezu jeder Mensch kennt das Bedürfnis nach einer selbstbestimmten Auszeit. Im Allgemeinen steht eine ›Auszeit‹ für einen temporäreren Ausstieg aus dem kontinu- ierlichen Zeitmanagement und charakterisiert eine Zeitspanne, die nicht primär von der objektiven Zeitmessung, sondern dem persönlichen Zeitempfinden geprägt ist. Die internationale Gruppenausstellung »Auszeit. Von Pausen und Momenten des Aufbruchs« versteht sich als Einladung, um – vor dem Hintergrund einer sich zuneh- mend beschleunigenden Gesellschaft, die sich aktuell im Ausnahmezustand befindet – über die Bedeutungsebenen und Potenziale einer Auszeit nachzudenken. In den vier Ausstellungskapiteln »Freizeitidyll: von Alltagsfluchten und Orten der Auszeit«, »Why work? Vom Wert der Auszeit«, »Wahrnehmungsverschiebungen: Zum Eigensinn der Kunst« und »How to Be in the Moment? Von Präsenzerfahrungen und Strategien der Entschleunigung« wird den Fragen nachgegangen, welche Formen die Auszeit annehmen und welche Funktionen sie erfüllen kann. Die Werke verdeutlichen die genussvollen wie janusköpfigen Elemente des Freizeit- und Vergnügungsgeschehens und stellen kritisch wie humorvoll die Taktung einer Leistungsgesellschaft in Frage.

»Auszeit. Von Pausen und Momenten des Aufbruchs« schlägt einen Bogen von Wer- ken der 1910er-Jahre bis in die Gegenwart und beleuchtet aus der Perspektive der Kunst, dass der Ausbruch aus der Betriebsamkeit auch eine Form der Verweigerung oder des Widerstands sein kann. Bereits die expressionistischen Werke der Künstlergruppe »Brücke« (1905–1913) versinnbildlichen Auszeiten des Vergnügens und des Aufbegehrens. Die Darstellungen der Ausflüge in die Natur zu Beginn des 20. Jahrhunderts – wie das Nacktbaden an den Moritzburger Teichen – zeugen sowohl von der erholsamen Pause als auch von der kompromisslosen künstlerischen Entfaltung und dem Entwurf einer utopischen Gegenwelt zur fortschrittsorientierten, reglementierten Gesellschaft im Wilhelminismus. Auch in den zeitgenössischen Positionen rückt die Auszeit als Teil einer Gesellschaftskritik ins Zentrum. Die künstlerischen Positionen fordern das Recht auf Müßiggang, entwerfen einen autonomen Zugang zur Zeit und alternative Strategien der Präsenzerfahrung und verdeutlichen, welche Potenziale aus künstlerischer Sicht in einer Auszeit stecken. Spätestens durch die Werke, die zur Kontemplation oder auch humoristisch zur Entschleunigung und Präsenzerfahrung anregen, wird die genuin moderne Vorstellung der Auszeit als Unterbrechung des getakteten Lebensalltags für die Besucher*innen zugleich physisch erfahrbar.

Konzipiert wurde »Auszeit. Von Pausen und Momenten des Aufbruchs« lange, bevor SARS-COV-2 als rahmender Kontext dieses Projekts unser alltägliches Leben bestimmt hat. Mit dem temporären Einfrieren des öffentlichen Lebens während der globalen Corona-Pandemie hat der Begriff ›Auszeit‹ wiederum neue Konnotationen erhalten, die der rumänische Künstler Dan Perjovschi (*1961) in seinen zeichnerischen Interventionen pointiert kommentiert.

17.04. - 11.07.2021

Auszeit. Von Pausen und Momenten des Aufbruchs

Kunstmuseum Ravensburg

Burgstraße 9
88212 Ravensburg