Ausgehend von Erinne­rungen an seine Mutter hat der isra­elische Autor Etgar Keret neun Kurz­geschichten verfasst, die im Rahmen der Aus­stellung nun erstmals öffentlich präsentiert werden. Mit diesen Kurz­geschichten knüpft Keret explizit an die jüdische Tradition an, Erinne­rungen von Gene­ration zu Gene­ration weiter­zugeben. Er erzählt von gemein­samen Erleb­nissen mit seiner Mutter, die 1934 in Polen geboren worden ist, und gibt Geschichten wieder, die sie ihm als Kind erzählt hat – alltägliche Geschichten ebenso wie trauma­tische Kriegs­erlebnisse und Gewalt­erfahrungen. Dabei wechselt Keret wiederholt zwischen der Perspektive des erwachsenen Erzählers und der des Kindes. Er erhebt mit seinen lite­rarischen Texten keinen Anspruch darauf, eine Realität abzu­bilden oder ein voll­ständiges Bild seiner Mutter zu vermitteln. Im Gegen­teil, er betont, ein solcher Versuch sei zum Scheitern verurteilt, und er wolle das Un­sichere und das Fragmen­tarische seiner Erinnerung auch in der Aus­stellung zeigen.

Die Kurz­geschichten werden mit von Etgar Keret ausge­wählten Objekten aus der JMB-Sammlung sowie zwei Installationen, einer Video­arbeit und Illus­trationen präsentiert, die in Kooperation von Etgar Keret mit zeit­genössischen Künstler*innen entstanden sind. Etgar Keret will mit seiner Aus­stellung die Erwar­tungen der Museums­besucher*innen brechen: Er will ihnen kein Wissen vermitteln, ihnen nichts erklären, sondern mit ihnen die per se unvoll­ständigen und nicht verifizierbaren Erinne­rungen an seine verstorbene Mutter teilen. Im Zusammen­spiel von Erinne­rungen, Objekten und künstle­rischen Installa­tionen eröffnet die Aus­stellung Räume für Asso­ziationen und Gefühle.

„Das Jüdische Museum Berlin möchte mit seinen Aus­stellungen Geschichten über das jüdische Leben erzählen“, sagt Hetty Berg, Direktorin des JMB, „und Etgar Keret ist zweifellos ein Meister des Geschichten­erzählens. Ich freue mich, dass er eigens für das JMB Kurz­geschichten über seine Familie geschrie­ben und diese in Bezie­hung zu Objekten der Sammlung gesetzt hat. Ich persönlich empfinde diese Begeg­nung in der Aus­stellung als sehr anregend und inspirierend und hoffe, dass es den Besucher*innen ähnlich geht und alle einen ganz eigenen Zugang finden werden.“

Etgar Keret selbst sagt, er wolle den Besucher*innen mit der Aus­stellung ein Gefühl davon vermitteln, wer seine Mutter war, ihnen aber gleich­zeitig keine objektiven Details über sie mitteilen – damit es ihnen mit ihr genau so ergeht wie ihm: „Statt in der Aus­stellung den Namen ihrer Eltern oder ihr Geburts­datum zu überliefern, möchte ich, dass die Besucher*innen erfahren, mit welchem Teil ihrer Hand sie mein Gesicht berühren oder welche Gute-Nacht-Geschichten sie mir jede Nacht erzählen würde. Es soll sich so anfühlen, wie jeman­den mit geschlossenen Augen zu küssen: Die Empfindung ist klar, aber sie kann nicht wirklich geteilt oder voll­ständig artikuliert werden.“

Alle Geschichten sind in der Aus­stellung – und mit Ausstellungs­beginn auf der Website des JMB – dreisprachig in gedruckter Form und als Audios zugänglich. Etgar Keret selbst hat seine Texte auf Hebräisch und Englisch ein­gesprochen, der vielfach ausge­zeichnete Schriftsteller Daniel Kehlmann die deutsche Übersetzung. Kehlmann, der mit Keret befreundet ist, wird auch am Begleit­programm der Aus­stellung teilnehmen: Am 29. November 2022 lädt das JMB zu einem Gespräch der beiden samt Lesung ein. Etgar Keret und seine Frau Shira Geffen werden bereits am 27. November 2022 beim Screening der Miniserie Mein sprechender Goldfisch (The Middleman, 2019) anwesend sein, die sie gemein­sam geschrieben und bei der sie zusammen Regie geführt haben. Zwei Schreib­workshops mit Ausstellungs­führung und Lunch am 20. November und am 12. Dezember runden das Begleit­programm ab.


Öffnungszeiten:
Montag - Sonntag: 10:00 - 19:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: jmberlin.de

Ausstellungsplakat Inside Out - Etgar Keret; Jüdisches Museum Berlin, Gestaltung: buerominimal
21.10.2022 - 19.03.2023

Inside Out – Etgar Keret

Jüdisches Museum Berlin

Lindenstraße 9–14
10969 Berlin