Dem Himmel so nah.
Von atemberaubend schön bis bedrohlich - Wolkenbilder aus über hundert Jahren

Wer kennt es nicht? Wir schauen verträumt in den Himmel, beobachten gedankenversunken vorüberziehende Wolken, erkennen plötzlich Gestalten oder Gesichter, blicken neugierig bis ängstlich nach oben: Beginnt es bald zu regnen? Droht Unwetter? Klart es auf?

Wolken beeinflussen unmittelbar unser Dasein. Sie zeigen das Wetter an und sorgen für gute oder schlechte Stimmung. Ihre schieren Dimensionen und opulenten Formen faszinieren uns Menschen. So verwundert es nicht, dass diese Ansammlungen von Wassertropfen in der Luft Künstlerinnen und Künstler über Jahrhunderte hinweg angeregt haben und man die Kunstgeschichte auch anhand der Kontinuitäten und Veränderungen des Wolkenmotivs erzählen könnte.

Nicht allein als fester Bestandteil von Landschaftsdarstellungen treten Wolken auf. Vertraut sind sie uns besonders als Allegorien des Göttlichen. Dabei verkörpern sie als Wolkenbetten und -kränze strenggenommen nicht selbst das Sakrale. Sie markieren vielmehr den Grenzbereich zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen oder fungieren als Vehikel von einer Zone in die andere. Entsprechend der Vorstellung eines Weltgerichts und damit verbunden einer Zeitenwende oder Endzeit muss diese Bewegung nicht immer aufwärts verlaufen. Mit seiner im letzten Jahr entstandenen Videoarbeit Revelation konfrontiert Bjorn Melhus (*1966) sein Publikum mit der Offenbarung des Johannes, die vom Weltuntergang ebenso wie von einem neuen Reich kündet. So galoppiert ein weißes Pferd, das dem ersten apokalyptischen Reiter zugehörig ist und Gerechtigkeit, Reinheit, Sieg und Kriegsausbruch symbolisiert, sowohl durch jenseitig schöne Wolkenlandschaften wie durch Feuerwolken. „Vor dem gegenwärtigen Hintergrund neuer Kriege, kollabierender Demokratien und des weltweit zunehmenden Rechtspopulismus* (Melhus) stellt sich für Melhus das Thema der Apokalypse aktueller denn je dar. Indem er uns verführerische wie beschwingte und ebenso aggressive Motive zeigt, offenbart sich die Ernsthaftigkeit dieses Anliegens.

Die Welt als durch Gott hervorgebrachte Natur bestimmt noch die Romantik, die wir als die Zeit der Wolkenentdeckung in der Malerei kennen. Allen voran Caspar David Friedrich (1774-1840) ist einer der großen Begründer neuer Bildformeln, bei denen das Atmosphärische und Stimmungsvolle dominieren. Berühmt und berührend zugleich ist die Anekdote, dass die Kinder ihren Vater Friedrich jederzeit beim Malen aufsuchen durften. Nur wenn dieser sich der Darstellung des Himmels widmete und damit seinem Glaubensverständnis nach dem Göttlichen, nur dann durfte er unter keinen Umständen gestört werden. Die menschliche Demut vor der Erhabenheit der Natur drückt sich bei Friedrich in Bildräumen aus, die nicht anders als monumental zu nennen sind. Die Elemente lassen sich nahezu in ihrer ganzen Kraft, aber auch unberechenbaren Veränderbarkeit erahnen. Hiroyuki Masuyama (*1968) spürt Friedrichs Schöpfungen besonders intensiv mit Arbeiten nach, die durch die Überlagerung von drei- bis fünfhundert, an den Originalschauplätzen der Romantik aufgenommener Fotografien entstehen. Die Ähnlichkeit zu den malerischen Vorbildern ist so frappierend, dass selbst der mediale Bruch, den die als Leuchtkästen präsentierten fotografischen Arbeiten bereithalten, diese Wirkung nicht mindert.

Zur gleichen Zeit, in der Friedrich seine Werke schuf,- und dies ist wegweisend für das Sujet der Wolke in der Kunst - entwickelt sich ein verstärkt wissenschaftliches Interesse. Ermöglicht wird es von neuen Erkenntnissen in der Luft- und Gasforschung und der Meteorologie. Man beginnt die Wolken in ihre drei Haupttypen, in Feder-, Haufen-, und Schichtwolken zu unterteilen, lateinisch Cirrus, Cumulus und Stratus. Anna Grath (*1983) setzt dieses Wissen voraus, wenn sie ihre aus einem fotografisch bedruckten Fransenvorhang bestehende Wandarbeit Kumulus Virga nennt. Dabei ist der Haufencharakter der Wolke gar nicht ersichtlich. Vielmehr spielt sich der Charakter eines Alltagsobjekts, dessen Funktionalität sich mit der Ästhetik einer Fototapete paart, in den Vordergrund. Unterstrichen noch durch die fein justierte Drapierung einzelner Fäden mittels eines spiralförmigen roten Haarbands.

Grath operiert mit der Tradition „armer" Materialien in der Bildhauerei ebenso wie mit dem Ideal einer illusionistischen Malerei. Darüber hinaus aber katapultiert sie uns mitten in die Geschichte der Wolkendarstellungen und ihrer Wissenschaftsaffinität. Denn der Typ der Kumulus Virga zeichnet sich in der Natur dadurch aus, dass sich an der Unterseite die Wassertropfen zu feinen Fallstreifen ausbilden und die Konsistenz von Regen, Schnee oder Eis annehmen können. Mit skulpturalen und zugleich komischen Elementen übersetzt Grath also auch naturwissenschaftliches Wissen.

Im frühen 19. Jahrhundert reagieren die romantischen Künstler auf die neuen Erkenntnisse rund um die Wolke mit schnellen, augenblickshaften Studien, die an Spontaneität und ästhetischer Freiheit ihres Gleiches suchen und längst eine eigene Kategorie in der Malereigeschichte und auf dem Kunstmarkt hervorgebracht haben. Die unzähligen kleinen Studien waren dabei nicht selten Selbstzweck, gingen gar nicht in größere Kompositionen oder monumentale Bilder ein. Sie sind vielmehr eigenständig in ihrem Wunsch, dem immer Flüchtigen Ausdruck zu verleihen und Wolken als Bildthema zentral und für sich zu setzen. Als Gattung hält sich die Wolkenstudie durch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch bis ins 20. Jahrhundert hinein, wo sie im Expressionismus eine eigenständige und eigenwillige Fortsetzung findet. Werke von Gustav Schönleber, aber auch Erich Heckel legen beredt Zeugnis hiervon ab.

Und noch heute kommt es zu immer neuen Wolkenstudien, die poetisch und zart sind. So wie die vielen Hundert Zeichnungen, die zu Nanne Meyers (*1953) Arbeit Leicht bewölkt (2000) zählen und über die die Künstlerin selbst schreibt: „Jedes Stückchen Papier ein Moment, ein Augenblick, ein Gedanke, wanderndes Wünschen, ein Theater am Himmel, uralt und immer wieder neu. Wolken über Wände wuchern lassen, Zwischenräume, die der Himmel sind. Papiere aufspießen, Momente aufspießen, die Zeit anhalten, Gedanken anhalten, den Blick schweifen lassen und weiterziehen. Wie eine Wolke denken. Wolken: eine Sprache des Himmels, deren Worte die Wolken sind, die Bilder sind, die unablässig neue Bilder schaffen.*

Eine Übersetzung der flüchtigen Wolkenbewegungen hat auch Daniel Hausig (*1959) gefunden. Hunderte, nördlich von Skagen auf den schwedischen Schäreninseln in Zeitintervallen aufgenommene Fotografien überführt Hausig in eine vielschichtige, quasi filmische Lichtinstallation. Die Bewegung der Wolkenbänder vollzieht sich dabei sowohl auf einer LED-Tafel als auch auf vorgelagerten vertikalen Leuchtröhren. Mit ihren unterschiedlichen Rhythmen und Geschwindigkeiten unterstreichen die raumgreifenden Lichtarbeiten neben dem Augenblickshaften realer Wolkenbilder auch deren Schönheit und Magie.

Wieder andere Künstlerinnen und Künstler widmet sich neuen bildgebenden Techniken, um sich dem Motiv der Wolke zu nähern und ihm neue Ansichten abzugewinnen. Lyoudmila Milanova (*1979) kooperierte für ihre fotografischen Werke mit dem Titel Seeing Clouds from both Sides mit einem US-amerikanischen Satellitenunternehmen. Entstanden sind in einem engen Feedbackprozess und mittels einer neu programmierten App drei Bildpaare an drei verschiedenen Orten, die jeweils zeitgleich vom Satelliten im All und der Künstlerin auf Erden aufgenommen wurden und die eine sonst nicht mögliche doppelte Ansicht offerieren.

Neue Wolken, das sind auch menschengemachte Wolken. Wolken, die als Rauch und Abgase aus Industrieanlagen und aus unseren Fortbewegungsmitteln ausströmen. Trügerische Wolken, wirken doch auch sie zunächst formschön und einladend. Gerade in der Frühzeit der Industrialisierung findet sich verherrlichende, technik-und fortschrittsbegeisterte Darstellungen solch menschengemachter Wolken. Eine Euphorie, die mit der zunehmenden Umweltverschmutzung und Verschlechterung der Lebensumstände abnehmen sollte. Bereits Emil Nolde zeigt den Hamburger Hafen von pechschwarzen Nebeln durchsetzt und spätestens auf seinen buntfarbigen Aquarellen werden die Emissionen von Dampfern zu störenden Flecken.

Trotz dieser Ambivalenz, trotz der Bedrohung, die wir durch Wolken erfahren und die von uns selbst verursacht ist - von der Polschmelze bis zum Starkregen und Hochwasser - lädt die Wolke mit ihrer Schönheit und Fragilität dazu ein, sich all ihren Facetten zu näher, auch durch die Kunst. Dabei ist sie immer wieder auch eines: versöhnlich und beschwingend, so wie das Wolkenmeer, das einem in Ursula Pallas Filmarbeit Clouds and Foam entgegenschäumt und uns fühlen lässt wie auf Wolke Sieben, obwohl wir es besser wissen.