Die Künstlerin Galli wurde 1944 im Saarland geboren. Nach der Grundlehre an der Werkkunstschule in Saarbrücken bei Oscar Holweck, zog sie 1969 nach Berlin und studierte bei dem der Cobra-Gruppe nahestehenden niederländischen Künstler und Grafiker Martin Engelmann - dessen Meisterschülerin sie später auch wurde. Galli kam nach Berlin als der Geist der 68er-Bewegung noch in der Luft lag und Provokation, Aufbruch und Umbruch nicht nur an der Hochschule zu spüren war. Anfang der 1980er Jahre entwickelte sich in Deutschland und Österreich die Strömung der Neuen Wilden, einer hauptsächlich von Männern dominierten Gruppierung, der Galli gern zugeordnet wird, von der sie sich aber in ihrer Malerei bewusst distanzierte.

Manchmal dauert es Jahrzehnte, bis die Kühnheit eines Werkes wirklich verstanden wird. So ist es auch mit Gallis Gemälden, Zeichnungen, Texten und Büchern, die seit den 1980er-Jahren bis heute entstanden sind. 1944 im Saarland geboren, kam Galli 1969 zum Kunststudium nach Berlin, als der Geist der 68er-Bewegung noch in der Luft lag. Provokation, Aufbruch, Halligalli, das signalisiert auch ihr selbst gewählter Name. Die Anfänge ihrer ungestümen, expressiven Malerei fallen zehn Jahre später mit dem Aufstieg der Neuen Wilden wie Rainer Fetting oder Salomé zusammen. Seither wurde sie immer wieder als eine Art Randerscheinung dieser Strömung bezeichnet, was den Blick auf ihr Schaffen verengte. Seit sie 2020 auch auf der Berlin Biennale zu sehen war, wird ihr Werk von der jüngeren Generation neu gelesen – und sie als Pionierin gewürdigt, die ähnlich wie Louise Bourgeois oder Maria Lassnig eine eigenwillige, extrem körperliche Kunst geschaffen hat, die in persönliche und kollektive Abgründe vordringt.

Gallis Malerei ist buchstäblich von Ungeheuern bevölkert. Sie hausen in Wäldern und Träumen, bewohnen leere Häuser und kahle Räume. Manchmal sieht man von ihnen nur Arme, Beine, Hufe, Klauen. Ihre Körper scheinen aus verschiedenen tierischen, menschlichen oder mythologischen Wesen zusammengewachsen zu sein. In diesem Kosmos berühren sich die Extreme: Erhabenheit und Alltäglichkeit, Grausamkeit und Verletzlichkeit, Schmerz und Ekstase.

Weil die Künstlerin kleinwüchsig ist, ging man lange davon aus, dass es sich um Kunst über die Körpererfahrung von Kleinwüchsigen oder Menschen mit Behinderungen handeln müsse. Dazu sagt sie: „Das ist klar, aber es ist zu kurz gegriffen, wenn man es zu sehr auf die Kleinwüchsigkeit bezieht. Der Körper als Schlachtfeld, das betrifft jeden.“ Es geht um den Ausbruch aus gängigen Wahrnehmungen, Normen, Konventionen, um die Rebellion gegen eine fixe Identität, die sich über Nation, Hautfarbe, Sexualität definiert. Aus Gallis Kunst spricht Mut, Provokation, aber auch Verzweiflung über die bestehenden Verhältnisse.

Seht zu, wie ihr zurechtkommt ist der spöttisch-ambivalente Titel der von Annabell Burger kuratierten Ausstellung im PalaisPopulaire. Zugleich ist die Schau eine Hommage an eine Künstlerin, die mit rund 50 Arbeiten auch in der Sammlung Deutsche Bank vertreten ist.

Die Ausstellung beginnt mit einer Installation von Zeichnungen, die in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren entstanden sind. Gallis Graphit- und Kohlearbeiten schlagen Brücken zu kunsthistorischen Referenzen, zu Literatur und Religion, zu Massenkultur oder Cartoons. Dabei gleichen die Zeichnungen, wie auch ihre Gemälde einer schonungslosen Bestandsaufnahme menschlicher Zustände.
Zentrales Element der Ausstellung sind die rund 80 Zeichnungen auf Karteikarten, deren Vorder- und Rückseiten in einer speziellen Architektur präsentiert werden und einen Einblick in Gallis künstlerisches Vokabular geben. Zahlreiche Künstlerbücher, die im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind, werden von Videos begleitet. Sie dokumentieren, wie Literatur, Sprache, Poesie die künstlerische Praxis von Galli mitgeprägt haben. Sie lebt in Friedenau, dem literarischen Bezirk West-Berlins. Mit dem rumänisch-deutschen Dichter Oskar Pastior (1927–2006) war Galli befreundet und arbeitete mit ihm zusammen.

Die Gemälde im anschließenden Teil der Ausstellung zeigen Galli als virtuose Koloristin, die ihre Bilder nächtlich leuchten oder wie Körper bluten lässt. Wenige Striche genügen, wie in Langes Bild (1985–87), um Bildräume zu schaffen, Sprach- und Gefühlsräume, die jedoch im Ungefähren bleiben. Pilze, Tassen, Häuser, Bäume, Kannen werden zu lebendigen Wesen, Häuser zu Bühnen, Gefängnissen oder Zufluchtsorten. Gallis Welt ist absolut zeitgemäß. Sie erzählt von Unruhe, Heimatlosigkeit, Trauma, Gewalt. Aber auch von radikaler Veränderung, von der Hoffnung auf neue, utopische Formen von Gemeinschaft.

In Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Schloss Derneburg.


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Montag: 11:00 - 18:00 Uhr
Dienstag: geschlosssen

Weitere Informationen direkt unter: palaispopulaire.db.com

Galli - See How You Get On, Galli, 1982, Courtesy the artist, Foto Hedwigis von Fürstenberg © Gall
19.06. - 07.10.2024

Galli - Seht zu, wie ihr zurechtkommt

PalaisPopulaire

Unter den Linden 5
10117 Berlin