»Ich jagte diese grauen Formen, damit sie mir einen Teil ihres Geheimnisses preisgäben.«
(Paul Virilio, 1975)

Bunker durchziehen als monumentale Formen Europas Landschaft; von Deutschland zur französischen Bretagne und dem Ärmelkanal, vor allem aber entlang des Atlantiks von Norwegen bis zur spanischen Grenze. In Italien, Österreich, Deutschland und zahlreichen anderen Ländern finden sich bis heute Bunker inmitten von Städten als übergroße, unverwüstliche Körper. Die Nationalsozialisten nannten ihr Bunker-Bauvorhaben »Festung Europa«. Sie bauten ein Fort der Diktatur. Den Bunkern ist ihre dunkle Vergangenheit fest eingeschrieben.

Andreas Mühe, der auf vielen Reisen entlang des sogenannten »Atlantikwalls« diesen historischen Gebilden nachspürte, nimmt das metaphorische Potenzial der Bunker als zentralen Ausgangspunkt einer groß angelegten Installation. Es ist die erste skulpturale Arbeit des für seine präzise konstruierten Fotografien bekannten Künstlers. Mühe steigert die Transformation des Bunkers ins Größtmögliche: Er reduziert die monumentalen Dimensionen der harten Beton-Architekturen auf eine menschlich fassbare Größe und verwandelt sie in kleine, weiche Objekte – wie Kuscheltiere, mit denen Kinder spielen. Anstelle eines singulären Monuments lässt Mühe viele kleine »Stoff-Bunker« entstehen, gleichsam ein Bunker-Meer, das die Ausstellungshalle raumgreifend flutet.

Mühe entscheidet sich bewusst für eine demokratische, eine nahbare Menge statt eines einzelnen, alles beherrschenden Monoliths. Anstelle der schweren, monumentalen Materialität und Wirkung des Bunkers tritt die weiche Haptik der leicht handhabbaren Miniaturversion. Durch dieses Konterkarieren lädt der Künstler ein, Bunker – ihre Architektur, Wirkung und Geschichte – zu be- und hinterfragen: Welche Funktion haben Bunker heutzutage in der Stadt, aber auch entlang der Atlantikküste? Was wird aus den Gebäuden, wenn sie als Party-Location oder Bandproberaum, als Loft oder zur Pilzzucht genutzt werden? Welche Phantasmen liegen der Vorstellung von Bunkern als Schutzräume zugrunde? Kann es angesichts heutiger Kriegs- und Waffentechnik noch einen gebauten Schutzraum geben? Inwiefern schreibt sich Geschichte in die Materialität des Betons ein, und wie spielt umgekehrt die eigene Ikonographie des Betons in jene hinein?

Diese Einschreibung von Wahrnehmung und Geschichte deuten fünf großformatige Fotografien von Bunkerbeschussplatten an, die Andreas Mühe wie eine Rahmung der Gesamtinstallation um die »Bunker-Massen« auf dem Boden angeordnet hat.

In der Negierung der Funktion und Haptik von Bunkern mittels Größe und Material inszeniert Andreas Mühe den Raum gleichsam wie einen Spielplatz. Mit diesem Anliegen korrespondieren auch die originalgetreuen Nachgüsse von Spielplatzelementen aus der DDR in inmitten des Raums. Diese Elemente waren zwar spielerisch zu nutzen, brachten aber doch unverhohlen einen paramilitärischen Zug zum Ausdruck. Diesen Drill zur Leistung und physischen Aufopferung im frühen Kindesalter thematisiert auch eine zentral platzierte Arbeit der Fotografin Barbara Klemm. In der Gesamtwirkung schreibt sich eine Kindheitserinnerung des Künstlers fort. Auf gleichartigen Spielplatzlementen kletterte Mühe selbst in seiner Kindertagesstätte: »Man konnte sich im Inneren vor der Welt verstecken oder wagemutig hinaufklettern und einen anderen Blick auf die Welt werfen. In ihrem Design waren sie keinem Stil, keiner Ideologie zuzuordnen; eine Fläche frei zum Phantasieren. Von der Kita wurde ich zwei Mal die Woche zur Leichtathletik abgeholt – vom Staat so vorgeschrieben. Heute blicke ich auf das Klettergerüst und erstaune, wie sehr es einem Bunker ähnelt. Erziehung, Spiel und Sport zum Sieg!«

In einem weiteren Ausstellungsraum finden sich als kulturphilosophische und kunsthistorische Kontexte und Rahmenbedingungen zu Mühes Installation weitere wesentliche künstlerische Positionen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, in denen Bunker in ihrer Materialität, Historizität und sozialen Bedeutung thematisiert wurden. Zentrale Anregung für diese künstlerischen Praxis gab das 1975 erschienene Buch Bunkerarchäologie des französischen Kulturphilosophen Paul Virilio, aus dem auch eine Auswahl von Fotografien zu sehen ist. Früh setzte sich der Künstler Joachim Bandau mit Virilio und der Bunker-Thematik auseinander. Zunächst in Zeichnungen und in der Folge auch in drei-dimensionalen Objekten, etwa skulpturalen Studien in Blei, zeigte er die Formenvielfalt gleich einem typologischen Zyklus der architektonischen Grundformen auf. Auf den Fotos von Hubert Kiecol sind dann Skulpturen zu sehen, bei denen es darum geht, diesen Formen trotz kleinem Maß, eine große Dimension zu geben. Durch das Material Beton entwickeln diese, direkt und sockellos auf dem Boden stehend, eine raumgreifende Präsenz. Erasmus Schröter schließlich inszeniert Bunker und Bunkerruinen, indem er sie mit farbigem Licht anstrahlt. Der monotone Beton wird so durch Farbkompositionen überlagert, die wie Nutzungs- und Bestimmungsentfremdungen anmuten. Die einst so brachialen Zeugnisse menschlicher Überlegenheitsgefühle liegen hier in Ruinen, sind heute mehr Kulisse denn Nutzobjekt.

ÜBER DEN KÜNSTLER
Andreas Mühe zählt zu den bekanntesten deutschen Fotografen seiner Zeit. Mit seiner intensiven und unnachgiebigen Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit hat er wiederholt streitbare Topoi thematisiert und schmerzlich verbildlicht. Er komponiert mittels analoger, streng durchdachter Fotografien im Großbildformat fein arrangierte Narrative. Er selbst, 1979 in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, geboren, hat als Kind in Ost-Berlin den Fall der Mauer erlebt. Er wuchs in der wiedervereinigten Hauptstadt in der Freiheit – und Unbestimmtheit – der 1990er-Jahre auf. Seine eigene Familiengeschichte ist wie bei so vielen dieser Zeit geprägt von einer Verarbeitung großelterlicher Schuld, von durch die Mauer zerrissenen Familienzweigen und von Hoffnung wie Enttäuschung über einen neuen Staat. Mühe bearbeitet die deutsche Vergangenheit und den öffentlichen, politischen Umgang damit wie ein Emblem für Geschichtsschreibung und Erinnerung. Er spiegelt ihre Konstruiertheit ebenso wie die Gefahr subjektiver Einflussnahme in seiner künstlerischen Arbeit wider. Wie sorgfältig arrangierte Bühnenbilder scheuen seine Kompositionen sich nicht, ihre Künstlichkeit preiszugeben. Vielmehr betont Mühe die künstlerische/künstliche Setzung, um dem »So-ist-es-gewesen« der Fotografie nach Roland Barthes im heutigen Zeitalter des digitalisierten und manipulierten Bildes ein »So-ist-es-nie-gewesen« beizufügen. In jüngster Zeit überführt Mühe sein Spiel mit Erinnerung und Erinnerungskultur verstärkt in dezidiert skulpturale und installative Projekte. Erstmalig findet dies seine Umsetzung immKunsthaus Dahlem, das als ehemaliger NS-Propagandabau eine historisch aufgeladene aber zugleich auch sinnfällige Bühne für diese Umsetzung bietet.

Mit freundlicher Unterstützung der Friede Springer Stiftung, der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie der Kurt-Josef Michels Kunst- Stiftung, Astrid und Patrick Schwarz-Schütte und der Leipziger Baumwollspinnerei.


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Montag: 11:00 - 17:00 Uhr
Dienstag: geschlossen
Jeden 3. Donnerstag im Monat: 11:00 - 20:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: kunsthaus-dahlem.de

Andreas Mu?he Bunkerbeschussplatte I, 2021 © VG-Bildkunst, Bonn 2024
07.06. - 06.10.2024

Andreas Mühe: Bunker – Realer Raum der Geschichte

Kunsthaus Dahlem

Käuzchensteig 12
14195 Berlin