Das SCHAUWERK Sindelfingen zeigt ab 22. September 2024 Werke von vier Künstler:innen, deren Schaffen sich durch eine Nähe zu wissenschaftlichen Themen und Methoden auszeichnet. Im Rahmen eines sechsmonatigen Stipendienaufenthalts im Schaufler Lab@TU Dresden forschten sie gemeinsam mit Wissenschaftler:innen zu aktuellen Technologien, ihren Ursprüngen und Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Künstlerisches Forschen ist ein Schlagwort der Gegenwartskunst und zugleich ein Phänomen mit teils prominenten historischen Vorbildern. So gab es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Künstler:innen, die sich mit unterschiedlichen Wissenschaftsthemen beschäftigten. Auch in der zeitgenössischen Kunst ist dies hochaktuell: Künstler:innen experimentieren mit neuen Technologien wie 3D-Druck, KI oder Gentechnik, geben Impulse für Forschungen und erfinden selbst Maschinen. Der Zugang zu neuesten Methoden und Techniken ist für die Kunstschaffenden dabei nicht immer gegeben, so dass ein Anschluss an universitäre Strukturen und die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen zu einem effizienten Austausch führen kann. Das Schaufler Lab@TU Dresden – ein gemeinsames Projekt von THE SCHAUFLER FOUNDATION und der TU Dresden – setzt genau hier an. Es besteht aus einem Graduiertenkolleg mit acht Doktoranden sowie einem Artist in Residence-Programm. Jeweils für sechs Monate verfolgen die Künstler:innen ein Projekt, für das sie sich mit den Sammlungen der TU Dresden auseinandersetzen oder mit wissenschaftlichen Instituten und anderen universitären Einrichtungen kooperieren.

In einer Gruppenausstellung zeigt das SCHAUWERK Sindelfingen nun Werke der vier Künstler:innen, die zwischen 2020 und 2024 zu Gast im Schaufler Lab waren und in dieser ersten Förderphase der Frage nachgingen, wie Künstliche Intelligenz kulturelle und gesellschaftliche Strukturen verändert. Christian Kosmas Mayer war 2020/21 erster Artist in Residence. Seine Projekte, die das Ergebnis umfassender künstlerischer Forschung und intensiver historischer und zeitgeschichtlicher Recherchen sind, entstehen vielfach in enger Zusammenarbeit mit Expert:innen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Darüber hinaus bezieht Mayer häufig neueste Technologien, beispielsweise aus den Bereichen der Künstlichen Intelligenz, der Biologie oder der Kryonik in seine Arbeit mit ein. Wiederholt setzt er sich mit Fragen des Erinnerns, des Bewahrens und des Wiederentdeckens auseinander. Die Sterblichkeit beziehungsweise unterschiedliche Vorstellungen und Konzepte von Unsterblichkeit sind dabei wiederkehrende Themen. Im Gegensatz zur reinen Wissenschaft überschreitet Mayer deren Grenzen mit den Mitteln der Kunst. Dabei schöpft er das Potential der neuen Technologien für seine Zwecke aus. Für die 8-Kanal Soundinstallation Maa Kheru (2021) führte Mayer in Zusammenarbeit mit der Professur für Sprachtechnologie und Kognitive Systeme am Institut für Akustik und Sprachkommunikation einen CT-Scan des Vokaltraktes einer 2000 Jahre alten Mumie aus der Sammlung der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen durch. Anschließend fertigte er davon einen exakten 3DDruck an. Gemeinsam mit der Universität entwickelte Mayer eine neue Methode zur Generierung von Zungenbewegungen eines mechanischen Sprechtraktmodells. Dieses künstliche Stimmorgan kann modulare Vokalklänge generieren und lässt sich wie ein Instrument spielen. Mayer erstellte daraus eine Soundinstallation, die einer menschlichen Stimme sehr nahekommt und einen Eindruck davon gibt, wie die Person geklungen haben könnte. Angesiedelt zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und künstlerischer Fantasie, verbindet diese virtuelle Vergegenwärtigung einer längst verstummten Stimme eine weit zurückliegende Vergangenheit mit unserer hypermodernen Gegenwart. Mayer kombiniert im Ausstellungsraum Leihgaben der historischen akustisch-phonetischen Sammlung der TU Dresden mit eigens unter anderem von ihm am 3D-Drucker erstellten Objekten. Wissenschaftliche Exponate treffen hier auf die künstlerischen Artefakte Mayers. Außerdem zeigt der Künstler von der Decke hängende Leinenbahnen, auf die mittels KI veränderte Zeichnungen von großen, goldenen Zungen im UV-Direktdruck gedruckt wurden. Die mehrteilige skulpturale Installation If you love life like I do (2019/2023) bezieht sich auf die Kryonik. Dabei werden menschliche Körper bei sehr niedrigen Temperaturen konserviert, in der Hoffnung, die Verstorbenen in der Zukunft wieder zum Leben erwecken zu können.

Anton Ginzburg setzt sich in seinem gattungsübergreifenden Werk mit kunsthistorischen und kulturellen Bezügen auseinander. Im Schaufler Lab beschäftigte er sich unter anderem intensiv mit dem Betonformstein-System der beiden Dresdner Maler Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht, das diese in den späten 1960er-Jahren für die architekturgebundene Kunst der DDR entwickelt hatten. Auch die Sammlung Farbenlehre der TU Dresden und speziell das Funktionsmodell des Sehens, entworfen vom Drucktechniker Harald Küppers, erforschte Ginzburg. Küppers‘ Modell zeigt anschaulich, wie das menschliche Auge Farben zusammensetzt (Gesetze der Additiven Mischung und der Substraktiven Mischung) und wie beispielsweise Simultankontraste/Farbkontraste funktionieren. Für die Ausstellung im SCHAUWERK Sindelfingen führte Ginzburg diesen Ansatz weiter und entwickelte zwei ortspezifische Wandgemälde für den Museumsraum, basierend auf einem modularen Kompositionssystem aus Farbe und Form. Die rechten Winkel des Baus finden ihre Entsprechung in der klaren Geometrie der farbigen Flächen. Dank ihrer vibrierenden Farbigkeit besitzen beide Gemälde eine starke Präsenz. In Zusammenarbeit mit der Professur für Wissenschaftliches Rechnen an der Fakultät für Mathematik verfolgte Ginzburg außerdem die Idee der mathematisch und algorithmisch berechneten Transformation von Affekten ikonischer Filme. Mit einem eigens programmierten Algorithmus unterzog der Künstler die Inhalte der Drehbücher von „American Psycho“ und „Trainspotting“ einer Sentimentanalyse (Stimmungserkennung). Das Ergebnis waren digitale, dreidimensionale Modelle, die der Algorithmus basierend auf den ausgelesenen Stimmungen innerhalb des Textes erstellt hatte. Diese Modelle konnten nun mittels 3D-Druck-Verfahren in großformatige Skulpturen überführt werden. 

Esmeralda Conde Ruiz ist eine preisgekrönte interdisziplinäre Komponistin und audiovisuelle Künstlerin. Wiederkehrende Themen in ihrer Arbeit sind die Sprache, das Individuum und das Kollektiv sowie die Rolle und Wirkung der Technologie auf unsere sich verändernde Gesellschaft. Sie verwendet hauptsächlich die Stimme als Material, wobei sie sich auf große Chöre spezialisiert hat und Gesang mit Aufnahmen von unbeachteten, vom Menschen verursachten Alltagsgeräuschen kombiniert. Während ihres Aufenthalts am Schaufler Lab vertiefte Conde Ruiz ihre Forschungen auf dem Gebiet der KI und des mehrstimmigen Gesangs mit Hilfe von Wissenschaftler:innen aus dem Fachbereich Musikwissenschaft sowie dem Institut für Akustik und Sprachkommunikation. Sie erkundete dafür das Rechenzentrum der TU Dresden, das die akustischen Spuren unserer digitalen Fußabdrücke enthält. Für die ortsspezifische Mehrkanalinstallation 24/7 (2023) kombinierte Conde Ruiz Tonaufnahmen aus dem Rechenzentrum mit der menschlichen Stimme. Die Geräusche surrender Lüftungsanlagen und Klänge von Supercomputern entwickeln sich zu einem Mensch-Maschinen-Chor, der summt, dröhnt und vibriert. Das Werk führt die Betrachter:innen mit dem Einsatz von Farbe und Klang durch eine Abfolge von Stimmungen, um sie auf eine verborgene Realität einzustimmen, welche sich dem unmittelbaren Zugriff entzieht. Im Kunstwerk werden E-Mails rezitiert, die exakt zu dem Zeitpunkt versandt wurden als die Tonaufnahme der Serverschränke erfolgte. Es waren diese spezifischen Online-Aktivitäten, die das Rauschen verursachten. Conde Ruiz verweist hiermit auf den Zusammenhang zwischen Fernkommunikation und der Eigenbewegung der technologischen Kräfte: rund um die Uhr – 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche. Zugleich will die Künstlerin die tiefen Verbindungen zwischen Mensch und Technologie aufzeigen und für deren Auswirkungen sensibilisieren: „Ein einziges Rechenzentrum kann so viel Strom verbrauchen wie 50.000 Haushalte. Bei 200 Terawatt Stunden (TWh) pro Jahr verschlingen Rechenzentren zusammen mehr Energie als einige Nationalstaaten.“

Rosa Barba erforscht in ihrem Werk die Beziehung von Film, Raum und Betrachter:in. Ihre filmischen Arbeiten bewegen sich zwischen experimenteller Dokumentation und fiktiver Erzählung. Mit der Kamera als Instrument untersucht sie Orte und Situationen auf ihre formale Gestalt hin und ergründet historische Konnotationen und Spuren. Diese verwebt sie dann mit eigenen Erzählungen zu narrativen Ebenen, die neue Denkräume eröffnen. Im Lab setzte sich die Künstlerin 2023 mit dem Konzept des Archivs und den Möglichkeiten von KI auseinander. Ein Projekt dazu ist noch in der Umsetzung. Das SCHAUWERK Sindelfingen zeigt ihre Videoarbeit Inside the Outset: Evoking a Space of Passage, die 2021 auf Zypern entstand. In der verlassenen UN-Pufferzone, einer sogenannten „Grünen Linie“, die den Norden und Süden der Insel seit 1974 trennt, schuf sie ein kreisförmiges Freiluftkino. Es erinnert an ein antikes Amphitheater, in dessen Mitte sich ein Metallrahmen für die Anbringung einer Leinwand befindet. Die darauf gezeigten Filme können so von beiden Seiten gesehen werden. Barba versucht den Bildern von Konflikten einen Ausdruck von Solidarität und Offenheit entgegenzusetzen. Ihr Ziel ist es, die Fähigkeit der Kunst hervorzuheben, Räume der Interaktion zu schaffen. Ihre Videoarbeit ist ein visuell und atmosphärisch dichtes Werk, das über die politische Landschaft der geteilten Insel und die Koexistenz von Mensch und Natur reflektiert.

THE SCHAUFLER FOUNDATION Wissenschaft, Forschung und Kunst sind die Schwerpunkte der Stiftung THE SCHAUFLER FOUNDATION, die Peter Schaufler 2005 gründete. Die Verbindung der unterschiedlichen Sphären – Technik, Kunst und Unternehmertum – , die Peter Schaufler (1940–2015) in seiner Person als Geschäftsführer der Firma BITZER und leidenschaftlicher Sammler zeitgenössischer Kunst vereinte, führt seine Stiftung heute fort. Sie hält 49 % der Unternehmensanteile und finanziert damit vielfältige Projekte: Die Stiftung trägt das Museum SCHAUWERK Sindelfingen, fördert Stiftungsprofessuren an Hochschulen und engagiert sich im sozialen Bereich.

Esmeralda Conde Ruiz, 24/7, 2023, © Esmeralda Conde Ruiz, Foto: Frank Kleinbach
22.09.2024 - 27.04.2025

Das Schaufler Lab@Schauwerk. Kunst trifft Wissenschaft

SCHAUWERK Sindelfingen

Eschenbrünnlestraße 15/1
71065 Sindelfingen