Das Brücke-Museum verwahrt die weltweit größte Sammlung zur Kunst Karl Schmidt-Rottluffs. Nun widmet es dem Künstler und Initiator des Museums mit einer umfangreichen Werkschau aus dem eigenen Sammlungsbestand. Gezeigt werden rund 70 Gemälde, ergänzt durch einige Aquarelle und eine Tuschearbeit, aus den Schenkungen 1964 bis 1974 und dem künstlerischen Nachlass des Brücke-Gründungsmitglieds.

Die Ausstellung bietet einen Überblick über das fast 70 Jahre umfassende künstlerische Schaffen des Künstlers – von seinen expressionistischen Anfängen ab 1905 bis hin zum monumentalen, farb- und formstarken Spätwerk der 1960er-Jahre. Dabei zeigt sich nicht nur eine beeindruckende stilistische Entwicklung, sondern auch eine enge Verbindung zwischen Kunst und Biografie. Die Sammlungsschau wird zu einer Reise durch die Lebensstationen Karl Schmidt-Rottluffs: Geprägt vom revolutionären Geist der Brücke-Künstlergruppe, den Kriegsjahren und der Verbundenheit zu den Landschaften, die ihn umgaben, entdeckte er die Welt „immer wieder neu“. Im Zusammenspiel pulsierender Farben und bewusster Formvereinfachung verlieh er seinen Motiven eine emotionale Kraft, die bis heute spürbar ist.

Mit dieser facettenreichen Ausstellung ehrt das Brücke-Museum nicht nur das expressionistische Werk Schmidt-Rottluffs sowie seine großzügige Schenkung im Jahr 1964 an das Land Berlin als Gründungsmoment des Brücke-Museums, sondern stellt zugleich die Forschung zum Gemälde-Werkverzeichnis des Künstlers vor.

Die Ausstellung wird kuratiert von Christiane Remm, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung.
 

Blick in die Ausstellung
Karl Schmidt-Rottluffs Gemälde entfalten in ihrer leuchtenden Farbigkeit eine besondere Wirkung. In einem chronologischen Rundgang führt die Ausstellung durch die prägenden Lebens- und Arbeitsstationen des Künstlers: von der Gründung der Brücke in Dresden über die Sommerlandschaften in Dangast und Jershöft bis zu den Erinnerungsbildern pommerischer Landschaften am Lebasee und seinem leuchtenden Spätwerk in Sierksdorf an der Ostsee oder Hofheim am Taunus. Um konzentriert arbeiten zu können ist Schmidt-Rottluff ein Leben lang auf der Suche nach ruhigen, abgelegenen Orten im ländlichen Raum, meist in der Nähe vom Meer. Die hier gefundenen Eindrücke von Natur, Landschaft und den Menschen seiner Umgebung bestimmen seine Motive und seine Entwicklung. Auch werden in der Ausstellung Einblicke in die aktuelle Forschung am Gemälde-Werkverzeichnis des Künstlers gegeben. Dabei dienen drei Kurzfilme zu einer tieferen Auseinandersetzung mit wichtigen Themen der Provenienzforschung, der Authentizität und der Restaurierung.

Der Titel der Ausstellung stammt aus einem Brief Schmidt-Rottluffs, den er 1951 an seinen Freund, den Künstler Erwin Hinrichs schrieb. Es handelt sich um einen Leitsatz, der den Künstler Zeit seines Lebens antrieb: die Welt immer wieder neu zu entdecken. Dieses Streben und seine anhaltende Neugier können als Zusammenfassung seines 70 Jahre umfassenden künstlerischen Schaffen gelten.

Brücke 1905/06
Der Ausstellungsrundgang beginnt mit den künstlerischen Anfängen Schmidt-Rottluffs und beleuchtet zugleich die prägenden Einflüsse seiner künstlerischen Entwicklung. Gezeigt werden frühe Aquarelle, eine Tuschezeichnung sowie erste Versuche an Ölgemälden.
1905 zieht der junge Künstler zum Architekturstudium nach Dresden, wo er am 7. Juni gemeinsam mit seinen Kommilitonen Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl die Künstlergruppe Brücke gründet. Gemeinsame Ausstellungsbesuche in der Dresdner Galerie Ernst Arnold führen die jungen Künstler zu wichtigen Vorbildern, insbesondere Vertreter des französischen Neoimpressionismus wie Paul Sinac. Werke wie Am Meer (1906) veranschaulichen Schmidt-Rottluffs besondere Faszination für den holländischen Maler Vincent van Gogh. Dessen emotionaler Ausdruck, die Verwendung unvermischter Farben und die kurzen, dynamischen Pinselstriche finden in Schmidt-Rottluffs Malerei eine individuelle Weiterführung. Zu seinen künstlerischen Vorbildern zählte auch der ältere und bereits etablierte Emil Nolde, den Schmidt-Rottluff als Mitglied für die Brücke 1906 gewinnen konnte. Von ihm übernahm er u.a. das Arbeiten mit Tusche und ließ sich von seinen „Farbstürmen“ inspirieren.

Dangast 1907–1912
Es folgt ein Einblick zu Schmidt-Rottluffs Zeit in dem kleinen Dorf Dangast an der Nordseeküste. Auf der Suche nach neuen Motiven entdeckte er die Küstenregion 1907 gemeinsam mit seinem Freund und Brücke-Kollegen Erich Heckel. Die Landschaft am Jadebusen wurde für Schmidt-Rottluff zu einem Ort künstlerischer Entdeckung und stilistischer Veränderung. „Es ist unglaublich, wie stark man die Farbe hier findet, eine Intensität, wie sie kein Pigment hat, fast scharf für das Auge", schrieb er 1909 begeistert über sein Naturerlebnis. In Dangast findet der junge Künstler zu seiner eigenen Bildsprache mit kraftvollen Farben, einfachen Formen und farbigen Linien, die lebenslang seine Kunst prägen wird. Besonders eindrücklich zeigt dies Gemälde wie Deichdurchbruch (1910) und Roter Giebel (1911).

Brücke 1911–1913
Das Ausstellungskapitel widmet sich Schmidt-Rottluffs Auseinandersetzung mit dem Akt – ein Thema, das innerhalb der Künstlergruppe Brücke eine zentrale Rolle spielte, in seinem eigenen Werk jedoch erst 1911 an Bedeutung gewann. In Gemälden wie Mädchen bei der Toilette (1912) oder Sinnende Frau (1912) untersucht Schmidt-Rottluff das Verhältnis von Körper, Raum und Fläche. Nach seinem Umzug nach Berlin und der Auflösung der Brücke im Jahr 1913 setzte er sich Nidden (Nida, heute Litauen) auf der Kurischen Nehrung in Werken wieAkte in den Dünen (1913) erstmalig mit dem Akt in der Natur auseinander und verband Körper und Natur zu klaren, abstrahierten Formen.

1920er-Jahre Jershöft
An Dangast schließen die leuchtenden Sommerbilder aus Jershöft an, einem Fischerdorf an der heute polnischen Ostseeküste, das Schmidt-Rottluff zu Beginn der 1920er-Jahre mit seiner Frau Emy entdeckte. Bis 1931 verbrachte das Paar hier die Sommermonate. Nach den einschneidenden und traumatischen Erlebnissen des Ersten Weltkriegs konzentrierte sich der Künstler in Arbeiten wie in Blauer Mond (1920) auf die Natur und das Alltagsleben in der Küstenregion. Ab Mitte der 1920er-Jahre vollzog er einen erneuten stilistischen Wandel: Zuvor flächige, kantigen Formen wichen nun einer gegenständlicheren, realitätsnahen Gestaltung. Dabei verlieren seine Werke aber nicht den einfühlsamen Blick des Künstlers wie eindrücklich in Mädchen bei der Toilette (1912) zu sehen ist.

1930er-Jahre Lebasee
Ein weiteres Kapitel ist den elf Sommern an der Ostseeküste gewidmet, die Schmidt-Rottluff ab 1932 am Lebasee (Łebsko, heute Polen) in Hinterpommern verbrachte. Die Weite und Stille der Landschaft, die Wanderdünen und die breite Nehrung faszinierten ihn und er hielt seine Eindrücke in zahlreichen Landschaftsbildern wie Fischerbucht (1937) fest. Die Ausstellung kontextualisiert diesen Lebensabschnitt auch politisch: Der abgeschiedene Ort und der Rückzug in die Natur bot Abstand zu den nationalsozialistischen Umwälzungen des NS-Regimes. 1937 wurden Schmidt-Rottluffs Werke, wie Römisches Stilleben (1930), aus den öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt und auf der Propaganda-Ausstellung Entartete Kunst verhöhnt. 1941 erhielt Schmidt-Rottluff Berufsverbot und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Erinnerungen
Neben Landschaftsgemälden, die auf aktuellen Erlebnissen beruhten, entstanden in der Nachkriegszeit auch Werke aus der Erinnerung des Künstlers: Die Neuordnung der Staatsgrenzen nach Kriegsende machten eine Rückkehr für Schmidt-Rottluff an den Lebasee unmöglich. Seine besondere Verbundenheit zur pommerschen Landschaft veranlasste den Künstler dazu, bis in die 1960er-Jahre immer wieder aus der Erinnerung Motive vom Lebasee zu malen, die dabei durch eine fast irreale Farbigkeit bestechen.

Stilleben der Nachkriegszeit 1940er- und 1950er-Jahre
Nach 1945 wird das Stillleben zu einem zentralen Motive Schmidt-Rottluffs. Seine Bilder zeigen Alltagsgegenstände, eigene Arbeiten und auch Werke, die im Zuge des europäischen Kolonialismus aus ehemaligen deutschen Kolonien entwendet und auf dem Kunstmarkt gehandelt werden. Mit klaren Formen, kräftigen Farben und betonten Linien gestaltet er diese Dinge zu kraftvollen Kompositionen.
Wie viele Künstler der Moderne sammelte auch Schmidt-Rottluff Werke aus kolonialen Kontexten. Über 100 Objekte aus mehr als zwanzig Regionen sind erhalten und heute Teil der Sammlung des Brücke-Museums, das sich seit 2021 kritisch mit ihrer Herkunft auseinandersetzte.

Hofheim am Taunus
Das nächste Ausstellungskapitel ist Schmidt-Rottluffs Aufenthalten im sogenannten Blauen Haus der Malerin und Sammlerin Hanna Bekker vom Rath in Hofheim nahe Frankfurt am Main gewidmet. Bekker vom Rath hatte mit ihrem Haus einen gastfreundlichen und inspirierenden Treffpunkt für Künstler*innen geschaffen. Insbesondere ab den 1950-er Jahren hielt Schmidt-Rottluff den Taunus mit seinen dichten Wäldern und das Leben imBlauen Haus in vielen Werken fest – darunter das Selbstporträt Im Atelier (1950).

Sierksdorf
Der chronologische Rundgang endet mit den Motiven seines Spätwerks aus Sierksdorf, der letzten Station seiner jährlichen Sommeraufenthalte an der Ostsee. 20 Jahre lang kehrte Schmidt-Rottluff hierher zurück. Eine eindrückliche Reihe von Mondlandschaften nimmt das Licht und Leuchten der nächtlichen Küstenlandschaft in den Blick. Die ausgreifenden Formen und kräftigen Farben dieser späten Arbeiten lösen sich vom Gegenstand und lenken den Blick auf das Wesentliche.

Ausstellungsansicht „Immer wieder muss die Welt neu gesehen werden“ – Malerei von Karl Schmidt-Rottluff, Brücke-Museum, Foto: Nick Ash
16.11.2025 - 15.02.2026

„Immer wieder muss die Welt neu gesehen werden“ – Malerei von Karl Schmidt-Rottluff

Brücke-Museum

Bussardsteig 9
14195 Berlin