Die Geschichte der Sexarbeit lässt sich von der Antike bis in die Gegenwart verfolgen. Welches Menschenbild die Zeit prägte, welche Werte galten und wer Macht ausübte, lässt sich auch daran ablesen, wie gesellschaftlich mit Sexarbeit umgegangen wurde. Sie bedeutete in manchen Zeiten für Frauen eine von wenigen Möglichkeiten, selbständig Einkommen zu generieren. Ihre Geschichte wurde bislang meist aus einer Außenperspektive geschildert. SEX WORK erzählt diese Historie anders: Gemeinsam mit einem Kollektiv forschender Sexarbeiter*innen wird in der Bundeskunsthalle Kunst, Kulturgeschichte und Archivmaterial präsentiert, orientiert an einem zentralen Prinzip: Nichts über uns ohne uns!
Die Ausstellung setzt Schlaglichter auf die westliche Kunst- und Kulturgeschichte ebenso wie auf gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart. In der bildenden Kunst spielten Hetären, Dirnen, Kurtisanen und Nackttänzerinnen lange Zeit vorrangig eine motivische Rolle, wurden allenfalls als Musen wahrgenommen. Dass Sexarbeiter*innen auch eine schöpferische, künstlerische Rolle einnehmen, ist eine Perspektive, die hier sichtbar gemacht wird.
Die Geschichte der Sexarbeit ist geprägt von einem Wechselspiel aus Restriktion, Verfolgung, Duldung und Liberalisierung. Im 17. Jahrhundert waren Dirnen ein gängiges Motiv niederländischer Genremalerei – als Projektionsfläche erotischer Fantasien oder Spiegel moralischer Vorstellungen. Die enge Verbindung von Handel, Migration und Sexarbeit war kein Randphänomen, sondern Ausdruck struktureller Veränderungen urbaner Räume. Im Paris des 19. Jahrhunderts waren Kunst und Erotik eng verflochten: Von Tänzerinnen der Oper erwarteten wohlhabende Männer sexuelle Gefälligkeiten für ihr „Mäzenatentum“, und um die Jahrhundertwende entstand ein Raum, in dem Künstler*innen, Intellektuelle und die subkulturelle Bohème einen Lebensstil pflegten, der sich gegen die konservative Gesellschaft richtete. Vergleichbares lässt sich im Berlin der 1920er Jahre beobachten, wo in der Weimarer Republik zwischen Glitzer, Rauch und Jazz ein kurzer Traum liberaler Möglichkeiten entstand – bis die Nationalsozialisten diese Vielfalt gewaltsam zerstörten. Zu den Verfolgten und in Konzentrationslagern ermordeten Opfern des Nationalsozialismus zählten auch vermeintliche oder tatsächliche Sexarbeiter*innen. Seit den 1980er-Jahren verschaffen sich Sexarbeiter*innen zunehmend Gehör. Restriktive Maßnahmen und öffentliche Stigmatisierung im Zuge steigender Polizeigewalt, Gentrifizierung und der AIDS-Krise führten zu Protesten und organisiertem Widerstand – oft in Solidarität mit der queeren Community. Beide Gruppen stellen die Normen traditioneller Familie und reproduktiver Arbeit infrage und machen Geschlecht sowie Sexualität als soziale Kategorien sichtbar. Sexarbeitende standen an vorderster Front der queeren Bürgerrechtsbewegung. Für viele ist Gemeinschaft ein zentraler Ort von Zugehörigkeit und Ermächtigung. Die Ausstellung lädt dazu ein, Einblick zu nehmen und neue Perspektiven zu gewinnen auf ein von Vorurteilen und Tabus geprägtes Thema.
Kuratiert von: Johanna Adam, Ginger Angelica Rose, Ernestine Pastorello, Maximilian Reifenröther und Objects of Desire
Helmut-Kohl-Allee 4
53113 Bonn