Die Liebieghaus Skulpturensammlung widmet dem Bildhauer August Gaul (1869–1921) eine große Sonderausstellung, die den Künstler als einen der ersten modernen Bildhauer Deutschlands in seiner ganzen Bandbreite präsentiert. Unter dem Titel Tiere sind auch nur Menschen. Skulpturen von August Gaul zeigt das Museum vom 13. November 2025 bis zum 3. Mai 2026 rund hundert Tierplastiken Gauls im Dialog mit Skulpturen aus drei Jahrtausenden. Die Themen reichen von der Tierverehrung im Alten Ägypten und den Mischwesen der griechischen Mythologie über Haustiere im Alten Rom bis hin zum Tier in der christlichen Ikonografie.
August Gaul markiert den Beginn der modernen Plastik in Deutschland. Mit seinen Tierdarstellungen befreit er das Motiv von jahrhundertealter Symbolik und entwickelt eine neue bildhauerische Formensprache, die weit ins 20. Jahrhundert hineinwirkt. Die Ausstellung lädt dazu ein, Gauls Modernität anhand von rund hundert Werken aus Bronze, Keramik und Marmor zu entdecken. Neben eindrucksvollen, lebensgroßen Skulpturen von Löwen und Menschenaffen richtet Gaul den Blick auch auf Tiere, die zuvor in der Kunst kaum Beachtung fanden, wie etwa Esel, Gänse oder Enten.
Erstmals und fast vollständig zeigt die Ausstellung die bedeutende Frankfurter Privatsammlung von Carlo Giersch und wird durch zahlreiche Leihgaben aus Berlin, Hamburg, Hanau und Leipzig ergänzt. Die Präsentation erstreckt sich über fast alle Bereiche des Liebieghauses und setzt Gauls Werk in einen facettenreichen Dialog mit der Sammlung. Ein besonderer Höhepunkt ist der überlebensgroße Adler im Museumsgarten, den der Künstler ursprünglich für das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal in Berlin schuf. Anders als die traditionellen heroischen Darstellungen ist der Vogel hier im Landeanflug auf sein Nest zu sehen – ein eindrucksvolles Beispiel für Gauls künstlerisches Programm, das natürliche Verhalten des Tieres an Stelle seiner politischen Symbolik zu setzen. Seine Arbeit knüpft dabei an zeitgenössische naturwissenschaftliche und tierpsychologische Forschungen, etwa von Charles Darwin, an. Besonders deutlich wird dies in der Gegenüberstellung von Gauls Porträt Orang-Utan-Kopf „Jumbo“ (1895) mit einem antiken Bildnis des römischen Kaisers und Philosophen Marc Aurel (nach 169 n. Chr.).
Die Ausstellung zeigt Gauls Werk im Kontext seiner Verbindung von Kunst und Wissenschaft und beleuchtet zugleich gesellschaftlich relevante Fragestellungen seiner Zeit. Das Motiv der Nähe zwischen Mensch und Tier zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Rundgang. Bereits in der Populärkultur zu Gauls Lebzeiten fand dieses Thema vielfach Niederschlag: Margarete Steiff erfindet den Teddybären, und Rudyard Kiplings Dschungelbuch prägt über Generationen hinweg die Vorstellung von Mensch und Tier im Kontext von Überleben und Wildnis. All dies reflektiert die Faszination einer Epoche, in der das Tier zum Spiegelbild des Menschen wurde. Den Abschluss bildet eine mediale Installation mit Tierdarstellungen aus sozialen Netzwerken, die den Blick auf das heutige Verhältnis von Mensch und Tier eröffnet.
„Das Bild des Tieres wird um 1900 zum Experimentierfeld der Moderne. Junge Bildhauer wie August Gaul suchten nach neuen Formen für ihre Kunst und erfassten Tiere nicht länger als Symbole von Mythologie, Christentum oder politischer Herrschaftsansprüche, sondern als existierende und fühlende Wesen – künstlerisch auf Grundformen reduziert, von stiller Präsenz geprägt und zugleich präzise beobachtet. Als Ort lebendiger Skulpturbetrachtung macht das Liebieghaus erfahrbar, wie die moderne Bildsprache August Gauls mit der langen Geschichte der Bildhauerei zusammenwirkt“, so Philipp Demandt, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung.
„Die Sammlung von August Gaul liegt uns sehr am Herzen. Es ist uns eine große Freude, dass wir die Werke nun in einem so umfangreichen Rahmen direkt in unserer Nachbarschaft zeigen und so einen Beitrag zur Vermittlung von Kunstgeschichte leisten können“, erklärt Carlo Giersch, Sammler und Förderer der Ausstellung.
„Mit der Ausstellung ‚Tiere sind auch nur Menschen‘ wird ein bedeutender Künstler der Moderne und ein vielschichtiges Sujet auf eindrucksvolle Weise neu entdeckt. Zugleich zeigt das Projekt, welche kulturelle Dynamik entsteht, wenn Institutionen, Sammlerinnen und Sammler sowie Förderer aus dem Rhein-MainGebiet zusammenwirken. Diese enge regionale Kooperation ist ein starkes Zeichen für die wirkungsvolle kulturelle Zusammenarbeit unserer Region,“ so Susanne Völker, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. „
Als Städelscher Museums-Verein freuen wir uns, dieses herausragende Ausstellungsprojekt zu unterstützen. Es zeigt eindrucksvoll, wie Kunst immer wieder neue Perspektiven auf das Menschsein eröffnet – hier durch die Auseinandersetzung mit August Gauls Tierdarstellungen. Sein Werk verbindet Empathie, präzise Naturbeobachtung und gestalterische Feinheit auf berührende Weise,“ so Sylvia von Metzler, Vorsitzende des Städelschen Museums-Vereins.
„Gauls Skulpturen verbinden Zärtlichkeit mit strenger Klarheit. Zum ersten Mal in der europäischen Kunstgeschichte zeigt er das Tier als eigenständiges Individuum. Eingebettet in die historische Sammlung des Liebieghauses spürt man die Lebendigkeit der Tiere und zugleich die meisterhafte Präzision der Formen, mit der Gaul die Natur auf moderne Weise erfasst“, ergänzt Vinzenz Brinkmann, Kurator der Ausstellung und Leiter der Antikensammlung des Liebieghauses.
Die Ausstellung
August Gaul wur:de am 22. Oktober 1869 in Großauheim bei Hanau geboren und begann seine Ausbildung an der königlich-preußischen Zeichenakademie in Hanau. 1888 zog er nach Berlin, wo er als Meisterschüler des Bildhauers Reinhold Begas (1831–1911) tätig war. Sein Leben fällt in eine Zeit tiefgreifender politischer und wirtschaftlicher Umbrüche – vom Deutsch-Französischen Krieg über die Gründung des Deutschen Reiches bis zum Ersten Weltkrieg –, deren Spannungen subtil in seinem Werk mitschwingen. Bereits 1890 gewann Gaul eine Dauerkarte für den Berliner Zoo, wo er in den frühen Morgenstunden Löwen, Orang-Utans, Pinguine und andere Tiere skizzierte. Diese präzisen Beobachtungen bilden die Grundlage seines Lebenswerks. Gaul zeigt Tiere nicht länger als Symbole von Macht oder Herrschaft, sondern als eigenständige, fühlende Wesen. Dies wird besonders in der Stehenden Löwin (1899–1900) sichtbar, deren sorgender Ausdruck und harmonische Formensprache eine bisher in der europäischen Tierplastik selten gesehene emotionale Tiefe offenbaren. Die Ausstellung beginnt mit der Porträtbüste von „Jumbo“ (1895), einem Orang-Utan aus dem Leipziger Zirkus, und greift so das zentrale Motiv der Nähe zwischen Mensch und Tier auf. Im Ägyptischen Saal treten Gauls Plastiken neben heilige Tiere wie den Stier (Apis) oder die Katze (Bastet). Das von Gaul entwickelte Motiv des Eselreiters (um 1907) vermittelt spielerische Nähe und unterläuft auf humorvolle Weise die heroische Tradition antiker Reiterstandbilder. Bereits in der Antike verband der Mensch Tiere mit göttlicher Kraft oder mythologischer Bedeutung, wie die heiligen Tiere des Alten Ägypten zeigen: Stiere, Paviane, Krokodile, Skarabäen, Widder, Ibisse und Falken wurden verehrt, einbalsamiert und in aufwendigen Ritualen behandelt.
Die Ausstellung positioniert Gauls Skulpturen neben diese historischen Traditionen und macht deutlich, dass Tiere seit jeher sowohl als Spiegel menschlicher Vorstellungen als auch als eigenständige Wesen wahrgenommen wurden. So bezauberte in der griechischen Mythologie Orpheus mit seiner Leier die Natur, während homerische Epen den Kampf von Helden mit Löwen und Stieren vergleichen und Äsops Fabeln Tiere menschlich handeln lassen.
Im Hellenismus, der griechischen Spätphase, zeigt sich in Skulpturen ein gesteigerter Luxus des Bürgertums, oft verbunden mit Darstellungen von Kindern und Tieren, die dem Betrachter moralisch fragwürdig erscheinen, wie etwa der sogenannte „Ganswürger“ von Boethos oder eine antike Skulptur eines Jungen, der am Flügel eines Hahns zerrt und auf dessen Körper tritt. Beide Werke zeigen, wie ambivalent das Verhältnis zwischen Mensch und Tier dargestellt wurde.
Gauls Monumentalplastiken verdeutlichen seine Fähigkeit, Tiere emotional aufgeladen und gleichzeitig naturgetreu darzustellen. Während etwa die Löwen von August Kraus herrisch wirken, erscheinen Gauls Stehende Löwinnen nachdenklich, souverän und nahbar. Auch der Adler für das Kaiser-WilhelmNationaldenkmal oder der Bärenbrunnen von 1904 zeigen Größe, Humor und Zuneigung und unterstreichen Gauls meisterhafte Beobachtungsgabe. In der Bronze Eule auf dem Haupt der Athene (1900) greift der Künstler klassizistische Entwürfe auf und setzt die Eule auf den fragmentierten Kopf der Göttin. Mit diesem Werk, geschaffen für seinen Freund Gerhart Hauptmann, beweist er Humor und liefert eine kritische Auseinandersetzung mit akademischen Traditionen und der Idealisierung antiker Motive.
Biblische Motive wie die Sintflut, die Arche Noah oder das „Lamm Gottes“ thematisieren die Verantwortung des Menschen für Tiere und ihre symbolische Bedeutung als Opfer und Schutzwesen. Lämmer treten in jüdischer, christlicher und islamischer Tradition auf und so verbindet Gaul religiöse Symbolik mit lebensnaher Tierdarstellung. Wissenschaftliche Diskurse, insbesondere Charles Darwins The Expression of the Emotions in Man and Animals (1872), inspirierten den Künstler, die Ausdruckskraft von Tieren präzise zu beobachten, während Rudyard Kiplings Dschungelbuch (1894/95) literarische Anknüpfungspunkte liefert, um das Tier als Spiegel, Gefährten und eigenständiges Wesen darzustellen.
So vereinen Gauls Tierplastiken präzise Naturbeobachtung, historische Kenntnis, literarische Inspiration und modernen künstlerischen Ausdruck zu einem einzigartigen Erlebnis, in dem Tiere greifbar, präsent und fühlbar werden.
Schaumainkai 71
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