Der mexikanisch-amerikanische Fotograf Philip Montgomery (geb. 1988) ist bekannt für sein dokumentarisches Werk, in dem er die Gesellschaft der Vereinigten Staaten – ihre Konflikte und Allianzen – in ikonischen Schwarzweißbildern porträtiert. Ob in Minneapolis nach der Ermordung von George Floyd oder in Miami während des Hurrikans Irma – Montgomerys Fotografien zeichnen sich durch eine spürbare Spannung zwischen der Zeitlosigkeit seiner dramatischen Bildsprache und der Dringlichkeit des dargestellten Geschehens aus.

Mit »American Cycles« präsentiert das PHOXXI – das Temporäre Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg – Montgomerys erste große institutionelle Einzelausstellung. Neben Porträts und viel beachteten Auftragsarbeiten für Publikationen wie The New York Times Magazine und The New Yorker zeigt die Ausstellung erstmals auch bisher unveröffentlichte und neu produzierte Werke.

In seinen Fotografien stellt Montgomery eine zentrale Frage: Wie können Menschen weiterhin in Solidarität mit jenen leben, die sie als »Andere« wahrnehmen? Von Donald Trumps erster populistischer Kampagne bis zur Black-Lives-Matter-Bewegung, über Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel verstärkt werden, bis hin zu Wirtschaftskrisen und deren Auswirkungen auf die Menschen und ihr Zusammenleben, zeigt die Ausstellung rund 80 Werke aus den Jahren 2014 bis heute. So entsteht ein einzigartiger Einblick in ein Jahrzehnt amerikanischer Geschichte, das von politischem Aufruhr und der – oft gezielt geschürten – Wiederkehr sozialer und ethnischer Konflikte geprägt ist.
 
Für Montgomery ist dokumentarische Fotografie niemals gleichbedeutend mit emotionaler Zurückhaltung oder vermeintlicher Neutralität. Er offenbart die Realitäten des amerikanischen Lebens – unmittelbar und ungestellt, doch zugleich durch seine unverwechselbare Ästhetik verwandelt. Durch den Einsatz von Blitzlicht und eine dynamische Bildkomposition entdeckt Montgomery verstörende Zusammenhänge und eine fragile, oft surreale Schönheit. Auf diese Weise tritt sein Werk in einen Dialog mit der Geschichte der Fotografie und schafft eine neue amerikanische Ikonografie, die an das Erbe von Walker Evans, Dorothea Lange und Robert Frank anknüpft.
 
Die Szenografie von »American Cycles« betont die zugleich zeitgenössischen und zeitlosen Dimensionen von Montgomerys Werk und folgt keiner Chronologie, sondern thematischen Clustern. Sie beginnt mit einer Auseinandersetzung mit der Bedrohung der amerikanischen Demokratie und dem Wiederauftreten der ihr zugrunde liegenden Konflikte – symbolisiert durch ruinenartige Strukturen im Zentrum des Ausstellungsraums. Einzelne Fotografien sind in deren Fassaden eingelassen, während andere teilweise im Inneren verborgen sind und so spannungsvolle Bezüge zwischen den Arbeiten erzeugen. Jedes Bild erzählt seine eigene Geschichte, doch gemeinsam verdichten sie sich zu einer umfassenderen amerikanischen Erzählung.
 
Ein weiteres Kapitel ist den verheerenden Folgen des Klimawandels gewidmet – den Überschwemmungen, Stürmen und Bränden, die alle gesellschaftlichen Schichten betreffen – sowie der Opioid-Epidemie. Weitere Schwerpunkte bilden Montgomerys Porträts von Persönlichkeiten aus Politik und Kultur sowie seine Untersuchung politischer Netzwerke und neu entstehender sozialer Bewegungen, die in einer Art »Control Room«-Setting präsentiert werden. Durch diese vielfältigen Perspektiven lädt die Ausstellung dazu ein, über die physischen und psychologischen Dimensionen innerhalb der Dynamiken des gegenwärtigen Amerika nachzudenken – und trotz allem den Glauben an die Kraft von Solidarität und Gemeinschaft aufrechtzuerhalten.

Philip Montgomery arbeitet regelmäßig für The New York Times Magazine, Vanity Fair und The New Yorker. 2018 erhielt er für seine Arbeit zur Opioidkrise den National Magazine Award for Feature Photography. Seine Fotografien wurden zudem von World Press Photo, Pictures of the Year International, American Photography und der National Press Photographers Association ausgezeichnet. Montgomerys Werke wurden unter anderem im FOAM in Amsterdam, im International Center of Photography in New York, in der Saatchi Gallery in London, in der Aperture Gallery in New York, bei den Rencontres d’Arles in Frankreich sowie in der Galerie du Jour – Agnès b. in Paris gezeigt. Seine Fotografien befinden sich in den Sammlungen der Sir Elton John and David Furnish Collection sowie der Deutsche Börse Photography Foundation. 2021 erschien sein Bildband »American Mirror« bei Aperture. Philip Montgomery lebt in New York City.