In ihren beiden ausgezeichneten Projekten setzen sich Lisa Barnard (*1967, Großbritannien) und Isadora Romero (*1987, Ecuador) mit unserem Verhältnis zur Umwelt auseinander und hinterfragen, wie Technologien, Wissen und Wahrnehmung dieses Verhältnis prägen. Sowohl Barnard als auch Romero verbinden dokumentarische und experimentelle fotografische Praktiken, um komplexe ökologische, politische und kulturelle Zusammenhänge sichtbar zu machen. Ihre Arbeiten werfen dabei zentrale Fragen nach Verantwortung, Ressourcen und neuen Formen des Zusammenlebens im Kontext globaler Krisen auf.

Lisa Barnard . You Only Look Once
In ihrem ersten großen Projekt seit vier Jahren beschäftigt sich die britische Künstlerin Lisa Barnard mit Wahrnehmung im Spannungsfeld zwischen menschlicher und maschineller Erfahrung. Sie thematisiert die Komplexität technologischen Fortschritts sowie die ökologischen Ressourcen, auf denen dessen Versprechen beruhen. Barnards Recherche ist in Kalifornien angesiedelt und entfaltet eine vielschichtige, fragmentierte und nichtlineare Erzählung. Sie umfasst Fotografien, eine immersive Videoinstallation, bearbeitetes Archivmaterial, alternative Drucktechniken und KI-generierte Bildanalysen, die sich zu einem visuell dichten Gewebe zusammenfügen.

Ausgangspunkt des Projekts ist der Saltonsee im Süden Kaliforniens. Dieser war im Zweiten Weltkrieg Schauplatz militärischer Präzisionstests und ist heute zu einem Ort wirtschaftlicher Begehrlichkeiten und technologischer Heilsversprechen geworden – insbesondere durch den geplanten Abbau von Lithium.

Barnards Arbeit zeigt die deutlichen Zeichen ökologischer Erschöpfung in dieser einst florierenden Gegend und thematisiert zugleich den militärischen Blick, der eng mit dem Ort und seiner komplexen Geschichte verbunden ist. Barnard untersucht weiter, wie Technologien, die auf visuelle und akustische Signale angewiesen sind, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine beeinflussen. Anhand der Echoortung von Fledermäusen richtet sie den Fokus auf Techniken der Objekterkennung, wie sie heute beispielsweise in autonomen Fahrzeugen allgegenwärtig sind. Ähnlich wie Menschen verlassen sich diese Systeme auf eine Vielzahl von Sensoren und Bildinformationen, um die Welt zu erfassen und sich in ihr zu orientieren. Obwohl KI-gestützte Lernprogramme wie „You Only Look Once“ eine Objekterkennung in Echtzeit ermöglichen, werden Maschinen niemals über ein echtes oder bewusstes Erleben verfügen.

Mit You Only Look Once schafft Barnard ein Bewusstsein für die Parallelen und Unterschiede zwischen menschlichem, tierischem und maschinellem Bewusstsein sowie für die Momente, in denen das Erkennen von Welt in deren aktive Gestaltung übergeht. Indem sie reflektiert, wie stark die globalen Multikrisen der Gegenwart miteinander verflochten sind, formuliert sie nicht zuletzt einen Kommentar auf die grundsätzlichen Verstrickungen maschineller „Autonomie“. In einer Zeit, in der sich die Klimakrise zuspitzt, stellt sich die Frage, wie Technologien entwickelt werden können, die nicht nur effizient, sondern auch sensibel gegenüber der Welt sind, die sie erfassen sollen.

Isadora Romero . Notes on How to Build a Forest
In ihrem ausgezeichneten Projekt entwickelt die ecuadorianische Fotografin Isadora Romero eine vielschichtige visuelle Erzählung über zwei Nebelwälder ihres Heimatlandes: die Gemeinde Yunguilla im Biosphärenreservat Chocó Andino de Pichincha nahe der Hauptstadt Quito und das Reservat Mache-Chindul nahe der Pazifikküste.

Ihre Arbeit eröffnet einen sensiblen, poetischen Blick auf Formen des Zusammenlebens mit dem Wald in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In enger Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften, Wissenschaftler:innen und Forschungsorganisationen sind über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr Fotografien entstanden, die ihren Ausgangspunkt in gemeinschaftlich organisierten Aufforstungsinitiativen, agroökologischen Praktiken und nachhaltigen Formen der Bewirtschaftung finden.

Romeros künstlerische Praxis bewegt sich zwischen dokumentarischer Fotografie und experimentellen Verfahren. In der Ausstellung treffen Materialexperimente mit Pflanzen und Textilien auf durch die Luftfeuchtigkeit des Waldes veränderte Fotografien lokaler Familienarchive. Zudem eröffnet der Einsatz von Infrarot- und UV-Technologien eine spekulative Perspektive auf die Wahrnehmung tierischer Waldbewohner:innen.

Ein zentrales Motiv ihrer Auseinandersetzung ist der generationenübergreifende Wissenstransfer. Hierunter fasst Romero auch das überlieferte Wissen indigener Kulturen wie der Yumbo und Jama Coaque. Sie folgt den Spuren präkolumbianischer Handelswege, den sogenannten culuncos, und fotografiert außerdem Artefakte aus lokalen Museen, die sie auf farbenprächtigen Stoffen in Szene setzt.

Notes on How to Build a Forest ist eine dekoloniale Reflexion über unser Verhältnis zur Natur. Romero gelingt hier eine nuancierte Erzählung über den Wald als lebendigen Organismus, die ihn nicht auf seine Zerstörung, seine Rolle als CO2-Speicher oder als westlich romantisierte Projektionsfläche „unberührter Natur“ reduziert. Die Arbeit fragt nach möglichen Zukünften des Waldes – als geteilter Lebensraum, Ort des kollektiven Gedächtnisses und kultureller Aushandlungen – und nicht zuletzt als Spiegel globaler Verantwortung im Zeitalter des Anthropozäns. Die Doppelausstellung wird von Katharina Täschner, Kuratorin bei C/O Berlin, kuratiert. Es erscheint jeweils eine begleitende Publikation im Verlag Hartmann Books.

Der After Nature . Ulrike Crespo Photography Prize ist ein gemeinsames Projekt der C/O Berlin Foundation und der Crespo Foundation. Jährlich ermöglicht der Preis die Umsetzung zweier rechercheintensiver Projekte und würdigt Künstler:innen oder Gruppen mit fortgeschrittener Ausstellungs- und Publikationspraxis, die durch ihre Arbeit neue Konzepte von Natur in Fotografie und visuellen Medien erkunden. Der Preis umfasst ein Preisgeld von je 40.000 Euro, eine Ausstellung bei C/O Berlin und eine begleitende Publikation. Nach ihrer ersten Station bei C/O Berlin wird die Doppelausstellung vom 13. März – 31. Mai 2026 im Open Space der Crespo Foundation in Frankfurt am Main zu sehen sein.

Lisa Barnard (*1967, Vereinigtes Königreich) ist eine britische Künstlerin und Dozentin, deren fotografische Arbeit sich mit realen Ereignissen auseinandersetzt. In ihren Projekten kombiniert sie klassische dokumentarische Methoden – wie Fotografie, Audio, Video und Text – mit zeitgenössischen visuellen Strategien und digitalen Techniken. Ihr Interesse an Ästhetik und an aktuellen Debatten zur Materialität der Fotografie verbindet sie mit politischen Fragestellungen rund um neue ökologische Ansätze, technologische Entwicklungen, Wissenschaft und den militärisch-industriellen Komplex. Barnard ist außerordentliche Professorin und Leiterin des Online-Masterstudiengangs für dokumentarische Fotografie an der University of South Wales. Neben regelmäßigen Ausstellungen ihrer Arbeiten hat sie drei Monografien veröffentlicht: Chateau Despair (2012, GOST, gefördert vom Arts Council England), Hyenas of the Battlefield. Machines in the Garden (2014, GOST, unterstützt durch den Albert-Renger-Patzsch-Preis) und The Canary and the Hammer (2019, MACK, unterstützt durch den Getty Images Prestige Grant).

Isadora Romero (*1987, Ecuador) ist eine visuelle Erzählerin an der Schnittstelle von dokumentarischer und künstlerischer Fotografie. Ihr Schaffen zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Engagement für soziale und ökologische Gerechtigkeit aus, mit besonderem Fokus auf Agrobiodiversität, Ernährungssouveränität sowie auf den historischen und symbolischen Verbindungen zwischen Mensch und Land. Sie dokumentiert und reflektiert die Beziehung von Gemeinschaften zu ihren Lebensräumen und entwickelt daraus neue Perspektiven – stets basierend auf einem kollaborativen, entschleunigten und kontextbezogenen Ansatz. Sie ist Mitbegründerin von Ruda, einem Kollektiv lateinamerikanischer Fotografinnen. Ihre Arbeiten wurden in Ecuador sowie international ausgestellt. Sie absolvierte Residencies in der Antarktis (INAE), in Mexiko (CASA) und in Luxemburg (Neimenster). Zu ihren Auszeichnungen zählen u.a. der Discovery Award bei den Rencontres d’Arles (2023), der globale und regionale Open Format Award von World Press Photo (2022), der Multimedia-Preis von POY Latam (2023) sowie der Marilyn Stafford Award (2021). Darüber hinaus wurde sie mit Stipendien der Magnum Foundation, des Prince Claus Fund und von National Geographic gefördert. Sie ist Autorin von Moving, to See You sowie Co-Autorin von Siete Punto Ocho.

Beto mit Vogelpräparaten, 2024 © Isadora Romero
27.09.2025 - 28.01.2026

After Nature . Ulrike Crespo Photography Prize 25: Lisa Barnard / Isadora Romero

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