„Engel erscheinen als das, wovor man sich fürchtet, Teufel als das, was man begehrt.“ – Holly Herndon und Mat Dryhurst
Starmirror kreiert ein Szenario, in dem KI-Modelle Menschen koordinieren, um für die Allgemeinheit nützliches Wissen zu generieren. Mit den hier gezeigten Arbeiten führen die in Berlin lebenden Künstler*innen Holly Herndon (* 1980, US) und Mat Dryhurst (* 1984, UK) ihre langjährige Tätigkeit an der Schnittstelle von Kunst, Musik, maschinellem Lernen und experimentellen Organisationsformen fort. In ihren Projekten entwerfen sie oftmals neue digitale Infrastrukturen, indem sie Protokolle selbst als Medium behandeln – als Strukturen, in denen neue Arrangements zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz erprobt werden können.
Herndon und Dryhurst arbeiten seit zwei Jahrzehnten mit Stimmen und Maschinen. 2016 begannen sie ihre bahnbrechende Arbeit mit KI-Chören, etwa auf Herndons Album PROTO (2019), für das sie „Spawn“ nutzte. Dabei handelt es sich um ein KI-Vokalmodell, das in LiveGemeinschaftssessions trainiert wurde, um mithilfe des maschinellen Lernens die Möglichkeiten des kollektiven Singens zu ergründen. In Starmirror verfolgen die Künstler*innen diesen Weg weiter, indem sie die Ausstellungshalle der KW Institute for Contemporary Art in ein Trainingsgelände für die kollaborative Produktion zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz verwandeln.
In Zusammenarbeit mit dem Design- und Architekturstudio sub haben die Künstler*innen eine immersive Klanginstallation entwickelt, die einerseits auf Aufnahmen früherer kollektiver Gesangsprojekte zurückgreift, andererseits in den KW als Aufnahmestudio und Hörumgebung für neue Arbeiten dient. Im Zentrum steht ein neues Liederbuch, das von einem KI-Modell generiert worden ist. Dieses wurde mit dem Moralitätenspiel Ordo Virtutum (1151) der deutschen Benediktineräbtissin und Universalgelehrten Hildegard von Bingen (1098–1179) trainiert. Darin muss sich eine Seele zwischen den Kräften des Guten und des Bösen entscheiden.
„Wir haben uns von Hildegard von Bingen inspirieren lassen“, so die Künstler*innen, „die Visionen des Göttlichen empfing, um eine neue Harmonie zwischen Mensch und Kosmos zu entwerfen. Wir sehen Parallelen zwischen ihrer himmlischen Hierarchie und der Vielzahl einflussreicher Protokolle, die heute unsere Kultur prägen.“ Während der Laufzeit der Ausstellung sind die Besucher*innen an mehreren Sonntagen eingeladen, am Trainingsprozess der KI mitzuwirken: Dann verwandelt sich die Halle der KW in ein Aufnahmestudio, in dem die Teilnehmenden ihre Stimmen gemeinsam mit Chören und einem Ensemble in ein Wechselspiel von Call and Response einbringen können. Die so entstehenden Aufnahmen bilden die Grundlage eines öffentlichen Chor-Datensatzes, mit dem ein Berliner KI-Chor trainiert wird, der anschließend in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen sein Debüt feiern wird.
Bevor die Besucher*innen die Ausstellungshalle betreten, begegnen sie der Arbeit Arboretum, die auf dem vollständig mit Public-Domain-Daten trainierten Basis-Bildmodell Public Diffusion der beiden Künstler*innen beruht. Während sich Hildegard von Bingen mit der Hierarchie der Engel beschäftigte, widmen sich Herndon und Dryhurst den Hierarchien technischer Protokolle und ihrer unsichtbaren Rolle bei der Gestaltung der uns umgebenden Welt. Zusammen bilden diese Elemente ein öffentliches KI-Protokoll, in dem menschliche und nicht-menschliche Akteurinnen zu einem gemeinsamen Kontext beitragen. Die Ausstellung thematisiert eine entscheidende Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz und bietet eine unmittelbare und partizipative Erfahrung des menschlichen Beitrags zu dieser. Die Künstliche Intelligenz sind wir, als kollektives Ganzes, mit neu entstehenden Eigenschaften.
Die Künstlerinnen wollen der Angst entgegenwirken, dass eine Zukunft mit KI uns zu passiven Konsument*innen endloser Automatisierung macht, und schlagen stattdessen „aktive soziale Mediation statt soziale Medien“ vor.
Das Ausstellungsdesign wird vom Design- und Architekturstudio sub konzipiert.
Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen den KW Institute for Contemporary Art, Berlin, und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, wo der zweite Teil des Ausstellungsprojektes vom 27. Juni – 11. Oktober 26 zu sehen ist.
Gefördert im Programm Kunst & KI der Kulturstiftung des Bundes. Die Kulturstiftung des Bundes wird gefördert von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Auguststraße 69
10117 Berlin